TV-Tipp: "Tatort: Zorn" (ARD)

Alter Fernseher vor gelber Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Zorn" (ARD)
20.1., ARD, 20.15 Uhr
Als Duisburg 1981 "Tatort"-Schauplatz wurde, war die Freude in der Stadt am Rande des Ruhrgebiets groß; bis dahin hatte allein der damals noch in der Bundesliga vertretene MSV für überregionale Bekanntheit gesorgt. Die Filme reduzierten Duisburg allerdings oft auf seine weniger attraktiven Seiten, und genauso beginnt "Zorn". Ein düsterer Himmel, stillgelegte Zechen, kaputte Häuser, klaffende Löcher in der Straße: Dortmund wirkt wie eine Geisterstadt.
Die Bilder sind fast schwarzweiß, das verstärkt den trostlosen Eindruck natürlich noch; so kaputt beginnen die Sonntagskrimis im "Ersten" nur selten. Der "Tatort" aus Dortmund ist ohnehin kein Wohlfühlfernsehen, dafür sorgen schon die ständigen Spannungen zwischen den Ermittlern, aber "Zorn" ist womöglich noch ungefälliger als sonst. Im Dezember 2018 ist mit Prosper-Haniel in Bottrop das letzte Steinkohlebergwerk im Ruhrgebiet geschlossen worden, und Jürgen Werner, Schöpfer des Dortmunder Ensembles, erzählt die passende Geschichte dazu. Ein großer Tel des Films spielt in einer Zechensiedlung, die doppelt betroffen ist: Die Menschen haben nicht nur keine Arbeit mehr, auch ihre Eigenheime sind bedroht, denn wegen diverser Schächte unter den Straßen droht akute Einsturzgefahr. Die Einheimischen können sich nicht einigen, ob sie das Angebot des Zechenbetreibers annehmen sollen, jeden Hausbesitzer pauschal mit 20.000 Euro zu entschädigen, oder ob sie für eine höhere Summe kämpfen sollen. Mitten in die aggressive Stimmung platzt die Nachricht, dass der Wortführer des Widerstands erschossen worden ist.
 
 
Das Thema passt perfekt zu Dortmund und verleiht dem Film schon deshalb eine gewisse Relevanz; meist haben die "Tatort"-Stoffe ja keinen derart konkreten regionalen Bezug. Werner hat sein Drehbuch darüber hinaus um Aspekte angereichert, die ebenfalls interessant sind. So führen die Ermittlungen Hauptkommissar Faber (Jörg Hartmann) unter anderem zu einem ebenso verschrobenen wie gefährlichen "Reichsbürger" (Götz Schubert), der einen eigenen Staat im Staate ausgerufen hat und bereit ist, die Grenzen seines Territoriums mit Waffengewalt zu verteidigen; auch dafür gibt es Vorbilder aus der Wirklichkeit. Weil der Mann aber gleichzeitig als Informant arbeitet, kommt Faber einer Verfassungsschützerin (Bibiana Beglau) in die Quere. Derweil gehen die beiden jungen Teammitglieder Dalay und Pawlak (Aylin Tezel, Rick Okon) der Frage nach, ob der tote ehemalige Bergmann womöglich das Opfer eines Eifersuchtsdramas geworden ist.
 
Diese Ebene des Films ist allerdings ein Rückfall in die Anfangszeit, als Dalay und Pawlaks Vorgänger Kossik erst eine Beziehung eingingen und dann die Krise kriegten. Daran scheint Werner nun anknüpfen zu wollen; allerdings nur an die Krise. Zunächst reagiert Dalay auf den neuen Kollegen sehr unterkühlt, später verpetzt sie ihn, weil Pawlak gern pünktlich Feierabend macht, und schließlich provoziert sie ihn so lange, bis er ihr an den Kragen geht. Einige dieser Momente sind jedoch völlig unglaubwürdig, weil Tezel die Oberkommissarin wie einen hormonell überforderten Teenager verkörpert. Die Szenen fallen auch deshalb aus dem Rahmen, weil Andreas Herzog die beiden "erwachsenen" Ensemble-Mitglieder in seinem zweiten Dortmunder "Tatort" nach "Eine andere Welt" (2013) ganz sparsam agieren lässt. Gerade Hartmann, der Faber schon oft als Grenzgänger verkörpert hat, beschränkt sich diesmal auf mimische Feinheiten, und auch das Spiel von Anna Schudt beschränkt sich des Öfteren allein auf einen Blick. 
 
Selbst Götz Schubert kommt ohne große Poltereien aus, obwohl der "Reichsbürger" ähnlich viel Zorn in sich trägt wie die Menschen aus der Zechensiedlung. Umso plakativer wirkt das Spiel von Bibiana Beglau, die die Verfassungsschützerin im Vergleich zu den sonst meist düsteren Rollen der Schauspielerin mit demonstrativ guter Laune versieht. Die Figur profitiert davon jedoch, denn natürlich treibt Klarissa Gallwitz ein Spiel mit Faber. Dass Tezels Ausraster nicht weiter ins Gewicht fallen, hat nicht zuletzt mit der Komplexität der Handlung zu tun; kaum zu glauben, dass Werner auch für ein dünnes Geschichtchen wie den letzten "Bozen-Krimi" ("Leichte Beute") verantwortlich ist. Er sorgt zudem dafür, dass Fabers Trauma präsent bleibt: Der Mörder seiner Familie ist nach der Flucht aus dem Gefängnis ("Tollwut", 2018, ebenfalls von Werner) immer noch auf freiem Fuß; deshalb kann Gallwitz dem Kommissar einen Deal anbieten, den der kaum ablehnen kann.
 
Regisseur Herzog (zuletzt "Unzertrennlich nach Verona") ist ohnehin ein Garant für sehenswerte Krimis. Der frühere Cutter hat neben einigen guten Beiträgen für "Unter Verdacht" (allen voran der Terrorzweiteiler "Verlorene Sicherheit", 2017) auch die beiden leider nicht fortgesetzten "Metzger"-Krimis gedreht. Bei "Zorn" war wichtig, dass die Milieuszenen gut gelingen. Vermutlich hat sich seit Schimanskis Duisburger Zeiten kein "Tatort"-Kommissar mehr derart glaubwürdig unters Volk gemischt wie Faber. Hartmann ist zwar kein Kohlenpottkind, aber im nahen Herdecke aufgewachsen; bestellt er sich ein "lecker Pils", gern auch im Dienst, wenn’s der Wahrheitsfindung dient, klingt das authentisch. Ähnlich sympathisch ist das neue Verhältnis zwischen Faber und der Kollegin Bönisch. Die beiden bereichern den Film um kleine komödiantische Elemente, die überhaupt nicht deplatziert wirken; dabei hat Herzogs bevorzugter Kameramann Wolfgang Aichholzer viele Außenaufnahmen mit einem Grauschleier überzogen, als würden in Dortmund immer noch die Stahlwerkschlote qualmen.