Die Eltern fallen aus allen Wolken, versuchen vergeblich, Jakob per Telefon, SMS und E-Mail zu erreichen, und bekommen schließlich eine Antwort, die auch zum Titel für diesen vor allem dank Hauptdarsteller Jörg Schüttauf sehenswerten Film erkoren wurde: "Macht euch keine Sorgen"; als ob das so einfach wäre.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die verschiedenen ARD-Sender haben sich in den letzten zwei, drei Jahren schon mehrfach mit dem Thema befasst, mal als Krimi, mal als Drama, allen voran mit dem im November 2017 ausgestrahlten Zweiteiler "Brüder". Gerade die Krimis, allen voran zwei "Tatort"-Beiträge des NDR ("Borowski und das verlorene Mädchen" und "Zorn Gottes", beide 2016), waren zwar spannend, hatten aber das gleiche Manko wie "Brüder": Es gelang ihnen nicht, die Motive der Konvertiten nachvollziehbar darzustellen. Das gilt zwar auch für "Macht euch keine Sorgen", ist hier aber nicht weiter schlimm, weil die Handlung aus Sicht des Vaters geschildert wird. Die Eltern Stefan und Simone (Ulrike C. Tscharre) sind gläubige Christen, ihrer Ansicht nach lebt Jakob seinen Glauben bloß in einem anderen Rahmen aus; von seiner Radikalisierung haben sie nichts mitbekommen. Das Drehbuch (Kathi Liers, Jana Simon) konzentriert sich ohnehin auf Stefan: Da er nicht tatenlos abwarten will, wie sich die Dinge weiterentwickeln, reist er in Begleitung seines älteren Sohnes David (Leonard Scheicher) mit den Ersparnissen ins jordanische Grenzgebiet, um Jakob notfalls freizukaufen. Der verzweifelte Plan geht tatsächlich auf, der junge Mann (Leonard Carow) kommt auch bereitwillig mit nach Deutschland zurück; aber die Hoffnungen der Eltern, nun werde alles wieder gut, können sich nicht erfüllen.
Regisseurin Emily Atef ist gewissermaßen Spezialistin für das Innenleben von Figuren, in deren Leben etwas zerbricht. Bislang waren es vor allem Frauen, deren Darstellerinnen sie zudem zu großen Leistungen geführt hat: In dem auf vielen Festivals ausgezeichneten Drama "Das Fremde in mir" (2008) stellt eine Mutter (Susanne Wolff) nach der Geburt fest, dass sämtliche Gefühle für das Baby wie abgestorben sind. In "Königin der Nacht" (2019) versucht eine Bäuerin (Silke Bodenbinder) ihren Hof zu retten, in dem sie sich als Prostituierte verdingt. "Wunschkinder" (2017) handelt von einem Ehepaar, das nach Russland reist, um sich dort seinen Kinderwunsch zu erfüllen. In Atefs Filmen geht es also stets um emotional existenzielle Ereignisse, und dennoch inszeniert die Regisseurin die Geschichten ohne Sentimentalitäten oder gar Kitsch. In "Macht euch keine Sorgen" zeigt sich das am besten an der Art, mit der Jörg Schüttauf den Vater verkörpert: Stefans Gefühle sind stets spürbar, aber Schüttauf betreibt nur wenig sichtbaren Aufwand, um sie zu vermitteln; deshalb stellt sich auch nie der Eindruck ein, er spiele die Rolle bloß.
Dank dieser Zurückhaltung gelingt es Atef, die Emotionen aus den Bildern herauszulösen und in die Zuschauer zu verlagern, was durchaus mutig ist, denn die Vorgehensweise hat zur Folge, dass der Film auf gewisse Weise sparsam wirkt. Das gilt in der zweiten Hälfte auch für die Handlung, denn nach der Rückkehr besteht die Geschichte erneut aus Warten, aber niemand weiß, worauf; und Stefan hat nun keine Möglichkeit mehr, seine Ungewissheit in konstruktive Energie zu verwandeln. Für die Eltern ist Jakob ein Geretteter, für alle anderen ein Verdächtiger, der womöglich als Schläfer heimgekehrt ist, um irgendwann einen Anschlag zu begehen. Kurze Szenen genügen, um dieses Misstrauen zu illustrieren: Die Polizei überwacht seinen Computer und will wissen, warum er die Website eine jüdischen Restaurants besucht hat, ein Nachbar spricht die Ängste der Vorortbewohner aus, und die Lehrerin der Tochter möchte nicht, dass Jakob seine kleine Schwester weiter von der Schule abholt. Bloß Jakob scheint sich von all dem nicht beirren zu lassen.
Atef hätte die Handlung auch anders umsetzen und beispielsweise die Reise nach Jordanien ausschmücken und auch packender inszenieren können; aber das wäre ein anderer Film geworden. Die Regisseurin interessiert sich jedoch viel mehr dafür, was die Erlebnisse mit der Familie machen. Weil sie sich dabei auf Stefan und Jakob konzentriert, kommen die anderen zwangsläufig etwas kurz, weshalb sich die Mitwirkung von Ulrike C. Tscharre weitgehend auf kummervolle Blicke beschränkt. Da Jakobs Motive im Unklaren bleiben, kann sich der Film auch nicht damit auseinandersetzen. Leonard Carow, immer noch erst Mitte zwanzig, obwohl er schon in Dutzenden Rollen meist verstörter oder zumindest verstörender Junge zu sehen war, verkörpert Jakob auf entsprechend distanzierte Weise. Selbst sein Vater wird nicht schlau aus ihm; eine Haltung, die Atef konsequent bis zum Schluss durchzieht.