Die Geschichten mit Schönemann als untergetauchter Polizist, der sich als Tierarzt tarnt, waren zwar durchaus ernst zu nehmen, hatten aber stets auch eine heitere Note und daher eine gewisse Leichtigkeit. Mitunter wirkten die Filme allerdings dank ihrer unspannenden Umsetzung wie ganz normales Fernsehen; die letzte Episode, "Gold!", war fast eine Art Tiefpunkt. Nun hat der Erfolgsautor die Reihe abgegeben. Er bleibt ihr zwar als Berater erhalten, aber das Drehbuch zum siebten Fall für Hauke Jacobs und Dorfpolizistin Lona Vogt (Henny Reents) stammt von Niels Holle, der unter anderem fürs ZDF an der Krimireihe "Schuld" (nach Ferdinand von Schirach) sowie an der Eigenpersiflage der Mainzer, "Lerchenberg" beteiligt war.
Regie führte Felix Herzogenrath. Dessen letzte Arbeit für "Nord bei Nordwest", "Waidmannsheil" (2018), hatte großen Anteil daran, dass sich die Reihe mehr und mehr in Richtung Beliebigkeit entwickelte; auch sein Zweiteiler "Der Staatsfeind" (2018, Sat.1) mit Henning Baum als vom MAD gejagter vermeintlicher Terrorist war bei weitem nicht der packende Thriller, der der Film hätte sein können. "Frau Irmler" dagegen ist sehenswert, weil der Regisseur hier offenbar exakt den Tonfall trifft, der Holle vermutlich vorschwebte. Der Film ist keine Krimikomödie, aber nicht weit davon entfernt. Als Vorbild diente dem Autor womöglich die erzählerische Haltung, mit der Alfred Hitchcock seinen Klassiker "Immer Ärger mit Harry" (1955) inszeniert hat. Stefan Hansen hat sich bei der Komposition seiner Filmmusik außerdem unüberhörbar an den Arbeiten von Bernard Herrmann orientiert, Hitchcocks langjährigem Hauskomponisten. Diese Anspielungen sind im Übrigen mehr als bloß ein Schmankerl für Filmfreunde; immerhin ist schon der Reihentitel eine Verbeugung vor Hitchcocks Thriller "North by Northwest" ("Der unsichtbare Dritte", 1959).
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Holle erzählt zunächst von zwei Ereignissen, die nichts miteinander zu tun haben: Bent Fehrenkamp (Rainer Sellien) wird beim Strandspaziergang mit seiner erwachsenen Tochter Wiebke (Valeria Eisenbart) niedergeschlagen, die junge Frau wird entführt. Parallel dazu entsorgt die Titelfigur ihren Mann; das ist nicht besonders schwer, denn Frau Irmler (Rosa Enskat) ist Grabpflegerin. Dass der gemeuchelte Gatte Harald ("Harry") hieß, passt wiederum zu den Verbeugungen vor Hitchcock. Interessant wird die Geschichte, als Holle die beiden Erzählstränge dank eines vierblättrigen Kleeblatts auf verblüffend plausible Weise miteinander verknotet. Gegen Ende wird "Frau Irmler" sogar ein bisschen spannend, als die zunehmend skrupellosere Gärtnerin bereit ist, dem Anfangsmord vier weitere Todesfälle folgen zu lassen.
Trotzdem bleibt der Film stets familientauglich. Deshalb kommt auch die private Ebene nicht zu kurz. Im letzten Film hatten Jacobs und seine Praxishilfe Jule Christiansen (Marleen Lohse) einen scheuen Kuss getauscht, aber diesmal erwischt es die rothaarige Mitarbeiterin richtig. Genau genommen bringt diese Ebene die Handlung erst richtig ins Rollen: Jacobs war in seinem früheren Leben verdeckter Ermittler in Hamburg. Sein Nachfolger, Timo Karstensen (Lasse Myhr), kommt in das Ostseedorf, um sich Rat zu holen, als ihm der Hund von Fehrenkamp vors Auto läuft. Auf diese Weise erfahren der Tierarzt und die Polizistin von dem Verbrechen. Nebenbei entwickelt sich noch eine Romanze zwischen Karstensen und Christiansen, die allerdings wegen der bevorstehenden Undercover-Tätigkeit des Polizisten unter keinem guten Stern steht.
Holle sorgt zwar für das obligate Ablenkungsmanöver, aber weil alte Krimihasen ohnehin recht bald ahnen, was wirklich hinter der Entführung steckt, lässt er die Katze schon früh aus dem Sack: Es ist alles fingiert, Wiebke steckt mit dem jungen Lenny (Jascha Baum) buchstäblich unter einer Decke; die beiden wollen mit den 100.000 Euro, die Wiebkes Vater zahlen soll, nach Marokko durchbrennen. Auf der zweiten Erzählebene legt die Bildgestaltung (Kay Gauditz) geradezu nahe, dass mit Frau Imrler was nicht stimmt, weil ihre Gespräche mit dem Gatten recht einseitig verlaufen. Als die Kamera den Mann von vorn zeigt, ragt in der Tat eine Gartenschere aus seinem Hals heraus; makabre Details dieser Art sind eigentlich ein Markenzeichen der Drehbücher von Holger Karsten Schmidt. Auch sonst sorgen Buch, Regie und Ausstattung dafür, dass es immer wieder kleine Entdeckungen gibt, darunter diverse Sinnsprüche im Haus von Frau Irmler ("Träume brauchen Flügel"). Die beiden Kaffeebecher des Bankers, bei dem Fehrenkamp das Geld abhebt, ergeben zusammen die Aufforderung "Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum", und gegen Ende stellt Polizistin Lona weise fest: "Zufall ist das Glück des Schicksals."