In der Tat wirken zwei Brüder mit, aber maßgeblich beteiligt sind insgesamt vier Frauen. Im Grunde wäre das ja alles völlig egal, wenn man nicht fürchten müsste, dass ein eher anspruchsvolles Publikum den Film angesichts dieses Verbalungetüms weiträumig meiden würde. Das wäre äußerst schade, schon allein wegen Axel Prahl, der hier nicht nur in der Doppelrolle zweier Zwillinge brilliert, sondern im Grunde vier Figuren verkörpert: Wie in allen Geschichten dieser Art tauschen die beiden Brüder irgendwann ihre Positionen; Prahl spielt also zwei Brüder, die jeweils ihren Bruder spielen. In einer Rückblende taucht er auch noch als Vater der beiden auf.
Der Arbeitstitel des Drehbuchs von Gernot Gricksch und Michael Illner lautete "Mein Bruder, die Liebe und ich". Das kommt der Sache zwar schon näher, wird ihr aber immer noch nicht gerecht, dafür ist die mit viel Charme umgesetzte Mischung aus Liebesgeschichte, Politkomödie und Brüderdrama viel zu facettenreich. Zentrale Figuren sind selbstredend die beiden Titelrollen. Christian ist Hinterbänkler im Bundestag und drauf und dran, eher widerwillig treibende Kraft eines Komplotts zu werden: Er soll einen Gesetzentwurf forcieren, der der Telekomindustrie Milliarden einbringen wird. Damit auch ja nichts schief läuft, lädt ihn eine ziemlich attraktive Lobbyistin (Christina Hecke) zum Schäferstündchen. Dummerweise erfährt seine Frau (Susanna Simon) von dem Seitensprung und verlässt ihn. Der Kummer führt Christian zu seinem Bruder Jochen, einem glücklosen Taxiunternehmer, der zwar einen Sack voller Wettschulden hat, aber auch frisch ist; und nun beginnt das Wechsel- und Verwechslungsspiel, dem schon "Prinz und Bettelknabe", "Das doppelte Lottchen" und die fünfteiligen ZDF-Filmreihe "Schulz und Schulz" mit Götz George (um nur einen Bruchteil zu nennen) ihre Würze verdankt haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der doppelte Prahl muss sich die Bühne allerdings anderen teilen. Anja Kling spielt eine ebenso schöne wie liebenswerte Sozialarbeiterin, die ein kleines Aggressionsproblem hat. Dass ihr Projekt vor dem Aus steht, wenn nicht flugs irgendwoher eine sechsstellige Summe auftaucht, lässt den in die Rolle des Bruders geschlüpften Jochen das Dasein als Politiker plötzlich erstrebenswert erscheinen, auch wenn er Christians Karriereaussichten mit einem völlig verunglückten TV-Auftritt bedenklich beschädigt, was wiederum Oliver Welke mit seiner "heute show" einen hübschen Gastauftritt beschert. Unverwechselbare Glanzpunkte setzt auch Armin Rohde als Geldeintreiber, der von sich selbst stets in der dritten Person spricht ("Herr Fleischer hat Diskussionsbedarf") und militanter Vegetarier ist. Das hindert ihn selbstredend nicht daran, Christian, den er für Jochen hält, seinen ganzen Unmut spüren zu lassen; körperlich, versteht sich.
Matthias Tiefenbacher findet für seine Inszenierung der Geschichte genau das richtige Tempo; mitunter hat man das Gefühl, er habe die Spielfreude seiner Darsteller eher bremsen als antreiben müssen. Ausgezeichnet sind auch die weiteren Darsteller, allen voran Noah Wiechers als Christians Sohn David, der seinem Vater auch in den dunklen Stunden beisteht, Manfred Zapatka als Christian Schwiegervater, der den schmutzigen Deal eingefädelt hat, und Tanja Wedhorn als TV-Journalistin, die den beiden auf die Schliche kommt. Und dann gibt es noch markante Nebenfiguren, die nur wenig Dialog haben, aber gleichfalls liebevoll entworfen und prägnant besetzt sind: Jan Georg Schütte als schmieriger Partner der Lobbyistin, Hans-Martin Stier als Taxifahrer "Duke" mit Western-Faible und Antoine Monot, Jr. als Jochen unterbelichteter Angestellter.