TV-Tipp: "Tatort: Der Turm" (ARD)

Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Der Turm" (ARD)
26.12., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Der Turm"
Vermutlich machen sich Drehbuchautoren und Regisseure über die ersten Bilder eines Films ebenso viele Gedanken wie Schriftsteller über den ersten Satz eines Romans. Während die meisten Menschen ein Buch nicht schon nach ein paar Zeilen wieder beiseite legen, muss ein Film sein Publikum bereits mit dem Einstieg packen.

Der Auftakt, den sich Lars Henning ausgedacht hat, macht zumindest neugierig: Die Kamera schwankt wie bei schwerem Seegang, weil sie die Perspektive des Fotoapparats der Kommissarin zeigt; die unheilvolle Musik könnte auch aus einem Horrorfilm stammten und setzt klare Thrillerakzente. Janneke (Margarita Broich) ist vor ihrem Partner Brix (Wolfram Koch) am Tatort eingetroffen: Eine Frau ist nachts aus großer Höhe gestürzt; über ihren Kopf ist eine Plastiktüte gestülpt. Laut Obduktion hatte sie unmittelbar vor ihrem Tod Sex mit mehreren Männern. Sie lebte allerdings bereits nicht mehr, als sie vom Dach eines Büroturms in die Tiefe geworfen wurde. Ihr Erstickungstod ist vermutlich ein Sexunfall und damit eigentlich kein Fall für die Mordkommission. Aber Janneke ist bei ihren Nachforschungen in dem Hochhaus niedergeschlagen worden und liegt nun mit Schädel-Hirn-Trauma auf der Intensivstation, weshalb der Kollege den Fall persönlich nimmt. Seine Recherchen enden allerdings an einem unüberwindbaren Hindernis: Die vielen kleinen Unternehmen aus dem Büroturm gehören alle irgendwie zusammen, aber das Geflecht ist völlig undurchschaubar; die Mitarbeiter verweisen auf ihre Verschwiegenheitsklauseln, und wenn einer wie der junge Bijan (Rauand Taleb) den Schleier zumindest ein bisschen lüften will, sorgt Anwältin Rothmann (Katja Flint) umgehend dafür, dass alle Geheimnisse gewahrt bleiben. Brix findet immerhin raus, dass es bei den Firmen um Geldvermehrung mit Hilfe von Algorithmen geht und die junge Frau bezahlte Teilnehmerin einer Sexparty für Investoren war. Er vermutet Geldwäsche in großem Stil, aber die Nachforschungen enden im Nichts, weshalb der kommissarische Leiter der Dienststelle, Staatsanwalt Bachmann (Werner Wölbern), die Akte schließt. Brix und die auf eigene Verantwortung aus dem Krankenhaus entlassene Kollegin ermitteln natürlich trotzdem weiter.

Henning hat für den Hessischen Rundfunk auch seinen 2016 ausgestrahlten Debütfilm "Kaltfront" gedreht, ein ausgezeichnet gespieltes Drama über vier Menschen, deren Lebenswege sich nach einem Verbrechen kreuzen. "Der Turm" knüpft über weite Strecken an diese Qualität an. Gerade die Bildgestaltung macht den Krimi zu einem besonderen Film. Carol Burandt von Kameke hat die Bilder in fahle Farben getaucht. Die Innenaufnahmen verbreiten mit ihrem Gelbgrünstich eine trostlose Stimmung, die perfekt zu den frustrierend ineffizienten Ermittlungen passt. Die Außenaufnahmen wirken wie aus einem Endzeitfilm und erinnern an das Licht kurz vor einem Sommergewitter. Die kunstvolle Farbgebung könnte jedoch ihren Teil dazu beitragen, dass "Der Turm" mutmaßlich weniger Freunde finden wird als andere Sonntagskrimis. Dafür sorgen zu Beginn auch die Bilder der wahrlich nicht schön anzuschauenden Leiche, aber das ist gar nichts gegen eine unnötig eklige Traumszene im Krankenhaus, als Janneke ihren Kopfverband entfernt und sich einen Finger in den Schädel steckt.

Wenig Freude bereiten auch die Revierszenen, denn die Atmosphäre ist ausgesprochen gereizt, weil Bachmann immer wieder versucht, Brix zu bremsen. Der Staatsanwalt erwartet solide Polizeiarbeit, da man sonst "nackt im Wind" stehe, aber solide Ermittlungen führen in diesem Fall nicht weiter, weshalb Janneke nach einem Gespräch mit der Anwältin heimlich im Turm bleibt und prompt in große Gefahr gerät. Zwischenzeitlich hat der Film gelegentliche Durchhänger, wenn die Geschichte gemeinsam mit dem Ermittlerduo auf der Stelle tritt; das lässt sich auch durch eine kleine Gastrolle von Zoe Moore nicht retten. Zum Ausgleich gibt es einige schöne Freundschaftsszenen mit Janneke und Brix. Die beiden sind zwar immer noch per Sie, aber seine Hilfsbereitschaft ist sehr sympathisch. Auf der anderen Seite macht Henning viel zu wenig aus den Fotos, die Janneke zu Beginn aufgenommen hat, obwohl es mit einem nur schemenhaft zu erkennenden Gesicht eine gute Vorlage gibt. Meist ist es ohnehin die elektronische Musik (Jan Zert), die mit ihren Klangbildern irgendwo zwischen Klaus Schulze und Tangerine Dream für Spannung sorgt, aber das clever inszenierte Finale im Hochhaus wäre vermutlich auch so ziemlich fesselnd. Sehr frustrierend ist dagegen der Schluss: Der Film endet ähnlich unbefriedigend wie ein Coitus interruptus.