TV-Tipp: "Der Nesthocker" (ARD)

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TV-Tipp: "Der Nesthocker" (ARD)
14.12., ARD, 20.15 Uhr
Das Phänomen Nesthocker ist bekannt, und einen entsprechenden Film gibt es auch schon lange: In der französischen Komödie "Tanguy – der Nesthocker" (2001) versucht ein Elternpaar mit zunehmend rabiaten Methoden, seinen erwachsenen Sohn zum Auszug zu bewegen. Claudius Pläging, Autor des aktuellen Kinofilms "Der Vorname", erzählt jedoch eine ganz andere Geschichte und lockt zudem erst mal auf eine falsche Fährte.

Armin (Francis Fulton-Smith), ein etwas ältlicher Bauzeichner um die fünfzig, lebt zwar noch bei seiner Mutter (Peggy Lukac), ist aber wider Erwarten nicht die Titelfigur. Die kommt ins Spiel, als Armin eine Frau kennenlernt, die perfekt zu ihm passt: Floristin Tina (Carin C. Tietze), Mitte vierzig, ist wie er Beatles-Fan und so ungefähr der einzige Mensch, der über seine absonderlichen Witze lacht; den gleichen Filmgeschmack haben sie auch noch. Alles wäre wunderbar, gäbe es da nicht diesen Nebenbuhler: Tina hat einen Sohn, und der ist nicht etwa ein kleiner Junge, wie Armin zunächst vermutet  (weshalb er mit seiner Lego-Feuerwehr etwas daneben liegt), sondern ein 27 Jahre alter brotloser Künstler. Als Tina mit 18 schwanger wurde, ist sie von den Eltern verstoßen worden. Seither bildet sie mit Hendrik (Florentin Will) ein verschworenes Team, und der junge Mann sorgt auf reichlich perfide Weise dafür, dass sich kein Dritter in die traute Zweisamkeit drängt. Armins Vorgänger Ben (Luca Zamperoni) hat auf diese Weise Karriere und Seelenheil verloren, und auch der brave Bauzeichner sieht sich alsbald einer finsteren Intrige ausgesetzt. Das Unheil beginnt mit einer Riesensauerei auf der Gästetoilette und führt über allerlei gemeine Psychospielchen geradewegs zum Tiefpunkt, als Tinas liebevoll gehegte Rosenzüchtung in einer Blumenvase endet. Armin gibt jedoch nicht auf und stellt dem Sohn eine Falle, in die der junge Mann aller Raffinesse zum Trotz tatsächlich hineintappt; aber dann begeht Armin den Fehler, Hendriks Asthmaanfall für Schauspielerei zu halten.

Regisseurin Franziska Meyer Price ("Undercover Love") steht seit zwanzig Jahren für eine Vielzahl durchweg sehenswerter Komödien und komischer Serien; "Berlin, Berlin" und "Doctor’s Diary" sind mehrfach ausgezeichnet worden. "Der Nesthocker" fügt sich in diese Filmografie zwar recht gut ein, unterscheidet sich aber in einem ganz wesentlichen Punkt: Die Bildgestaltung ist gerade für diesen Sendeplatz sehr besonders; der Freitagsfilm im "Ersten" steht nicht unbedingt für Experimentierfreudigkeit. Davon kann zwar auch hier nur bedingt die Rede sein, aber Meyer Price, ihr Kameramann Felix Cramer und womöglich ja auch schon Autor Pläging haben viel Einfallsreichtum in die optische Ebene investiert. Ein mehrfach geteilter Bildschirm beim Restaurantbesuch lässt die Szene dank dieser "Split Screen"-Montage ungewöhnlich flott anmuten; Überblendungen sorgen ebenfalls immer wieder für Tempo. Interessant ist auch die Atmosphäre: Die Inneneinrichtungen sind in dunklen, erdigen Tönen gehalten, die Aufnahmen wirken sehr farbgesättigt.

 

Ähnlich originell sind diverse Drehbucheinfälle, die Pläging und Meyer Price gern als "Running Gag" präsentieren, etwa Armins allmorgendliches Fahrstuhlerlebnis, als sich jedes mal die Tür vor seiner Nase schließt, oder das kaum kaschierte Mobbing seines faulen Vorgesetzten (Simon Licht), der sich regelmäßig mit den Lorbeeren des ebenso brillanten wie bescheidenen Kollegen schmückt. Wie schon bei Armins Vorgänger Ben reicht der lange Arm des durchtriebenen Hendrik auch beim Bauzeichner bis zum Arbeitsplatz, was schließlich zur Folge hat, dass sein Chef (Philippe Brenninkmeyer) die Geduld mit ihm verliert. Als wäre all’ das nicht genug, will Armins Mutter ihn um jeden Preis mit seiner Stiefcousine Klara (Laura Lo Zito) verkuppeln, und prompt hat auch sie schließlich maßgeblichen Anteil daran, dass ein Missverständnis zum endgültigen Bruch mit Tina führt.  

Darstellerisch ist "Nesthocker" ohnehin sehenswert. Fulton-Smith hatte garantiert großen Spaß daran, mal in eine völlig andere Rolle zu schlüpfen. Dass er die Figur mit Haut und Haar verkörpert, zeigt nicht zuletzt der etwas nach vorn gebeugte Gang, der Armin wie eine Schildkröte auf zwei Beinen wirken lässt. Etwas aufgesetzt ist allein die zwanghafte Marotte, mit der er sich regelmäßig den Pony zurechtrückt. Umso schöner sind Fulton-Smiths Dialoge, weil sich der schüchterne Bauzeichner in seinem Bemühen, niemandem auf den Schlips zu treten, dauernd um Kopf und Kragen redet. Während Carin C. Tietze vor allem sympathisch zu sein hat und das mühelos hinbekommt, muss Florentin Will zwei gänzlich unterschiedliche Typen verkörpern; es ist fast ein bisschen gruselig, wie sich der freundliche junge Mann quasi auf Knopfdruck in Norman Bates verwandelt. Ohnehin bedient sich Meyer Price bei ihrer stellenweise cleveren Inszenierung immer wieder mal moderater Thriller-Elemente: Als sich Armin und Tina auf einen Abend zu zweit freuen und sich schon im Hausflur leidenschaftlich küssen, zeigt die Kamera sie aus Sicht des Treppenhauses; auf dem Geländer schiebt sich beiläufig eine Hand ins Bild.