Der Film greift dafür auf ein beliebtes Muster zurück: Er vergisst die Brieftasche, sie fährt ihm nach, ertappt ihn mit einer Anderen und erkennt schockiert, dass er eine zweite Familie hat. Eine weitere Entdeckung empört sie jedoch ungleich mehr: Schon vor Jahren hat Anna - Aenne nennt sie sich erst später - ein Konzept für eine Modezeitschrift entworfen. Nun muss sie feststellen, dass Ehemann Franz (Fritz Karl), einer der erfolgreichsten Medienunternehmer der Nachkriegszeit, nicht nur bereits seit 1947 die Lizenz für ein solches Magazin besitzt; er finanziert seiner Geliebten Elfriede (Cornelia Gröschel) auch einen kleinen Verlag für die Zeitschrift "Elfi-Moden". Die zornige Anna wagt nun einen unerhörten Schritt: Sie droht Franz mit der Scheidung und zwingt ihn, ihr den Verlag zu überschreiben. Der Gatte willigt ein, aber der Erfolg ist buchstäblich teuer erkauft, denn zum Unternehmen gehören Verbindlichkeiten in Höhe von 200.000 Mark; eine für damalige Verhältnisse ungeheure Summe.
Das ist ein dankbarer Spielfilmstoff, keine Frage, und weil der Burda-Verlag noch heute im südwestbadischen Offenburg sitzt, hat der SWR bei "Aenne Burda - Die Wirtschaftswunderfrau" selbstverständlich die Federführung. Mit der gebürtigen Freiburgerin Katharina Wackernagel konnte zudem quasi eine Einheimische für die Titelrolle gewonnen werden. Dass in dem Film trotzdem niemand Badisch spricht, fällt angesichts diverser anderer Kritikpunkte allerdings kaum ins Gewicht. Größtes Problem des aufwändigen Zweiteilers (Teil zwei folgt nächsten Mittwoch): Der Film wirkt, als habe die Handlung nicht für 180 Minuten gereicht. Würde man "Aenne Burda" um all’ jene Szenen kürzen, die nichts zur Geschichte beitragen, wäre das Ergebnis vermutlich ein spannender zweistündiger Fernsehfilm. Zu den überflüssigen Szenen gehören zum Beispiel die ständigen Autofahrten, die Anna Burda gerade im ersten Teil unternimmt, auch wenn es Wackernagel sicher Spaß gemacht hat, in dem extravaganten schwarzroten Käfer-Cabrio aus der Hebmüller-Serie unterwegs zu sein; vorausgesetzt, sie ist überhaupt selbst gefahren.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Inhaltlich stimmig, aber in der Umsetzung (Regie: Francis Meletzky) nicht überzeugend ist auch ein Gespräch zwischen Burdas Faustballkumpanen, die sich darüber wundern, dass ihr Mitspieler seiner Frau derartige Alleingänge erlaubt. Deutlich unsympathischer sind allerdings die Ehefrauen, die sich über Anna das Maul zerreißen. Beide Szenen verdeutlichen natürlich den Geist einer Zeit, in der sich der Status eines Mannes auch darin zeigte, dass die Gattin nicht arbeiten musste; ohne seine Erlaubnis durften Frauen nicht mal ein eigenes Konto eröffnen. Ungleich gelungener sind trotzdem jene Momente, die Anna Burda als unabhängige "Selfmade"-Frau feiern, weil sie sich von Rückschlägen nicht unterkriegen lässt und ihren Schmuck versetzt, um ihre Angestellten bezahlen zu können (Buch: Regine Bielefeldt). Nicht weniger bewundernswert ist ihre unerschütterliche Überzeugung. Sie will es den Frauen ermöglichen, Kleider zu nähen, wie sie in Paris getragen werden. Franz hält das für ein Hirngespinst, seiner Meinung nach wollen die Leute "Brot und was drauf", aber keine Schnittmuster, doch Anna weiß, dass sich ihre Zeitgenossinnen nach Sinnlichkeit und Eleganz sehnen.
Katharina Wackernagel ist eine treffende Besetzung für die Verlegerin, vermittelt aber zu oft das Gefühl, die Rolle nicht verinnerlicht, sondern wie ein Kostüm übergestreift zu haben. Viele Dialoge klingen deklamiert, die lautstarken Ehekräche wirken bühnenreif, und mitunter wirft sie sich bei den Auseinandersetzungen allzu sehr in Positur. Auch in dieser Hinsicht sind die Ensemble-Szenen, wenn Anna ihre überwiegend weiblichen Angestellten von ihrer Vision überzeugt, ungleich glaubwürdiger. Aus dem gut zusammengestellten Team ragt Luise Wolfram als unentbehrliche recht Hand der Verlegerin heraus. Sehenswert ist der biografische Film auch wegen der oftmals opulent wirkenden Bildgestaltung. Das gilt allerdings weniger für die Szenen, in denen Kamerafrau Bella Halben den Luxus zelebriert. Das dank der diversen Modenschauen überaus vielfältige Kostümbild (Katharina Ost) und die Ausstattung (Knut Loewe) sind sehr eindrucksvoll, selbst wenn Meletzky die entsprechende Sorgfalt mitunter allzu gebührend würdigt.
Trotzdem bleibt als Manko, dass neben dem Tempo auch ein gewisser Biss fehlt. Natürlich ist "Aenne Burda" kein Krimi wie Meletzkys ausgezeichneter Doppel-"Tatort" über Zwangsprostitution ("Wegwerfmächen"/"Das goldene Band", NDR 2012), und ihr Drama "Nur eine Handvoll Leben" (2016) war schon allein wegen der Thematik – eine Frau erfährt in der 22. Woche, dass ihr Kind einen schweren Gen-Defekt hat – war schon allein thematisch von ganz anderer Intensität. Dennoch wirkt "Aenne Burda" gerade im ersten Teil über weite Strecken trotz der gefälligen Musik (Martin Lingnau und Ingmar Süberkrüb) wie einer jener öffentlich-rechtlichen Themenfilme, in denen Beiläufigkeit verpönt zu sein scheint. Teil zwei ist deutlich dichter erzählt und entsprechend kurzweiliger. Aennes ausführlicher Ausflug nach Sizilien, wo sie sich in einen Italiener verliebt, wirkt allerdings, als habe man bei der Drehbuchbesprechung festgestellt, es müsse dringend noch etwas Herz in die Geschichte. Gewitzte Einstellungen wie jene, als sich Franz in einem Foto seiner Frau spiegelt, sind ohnehin äußerst rar, und das, obwohl die Heldin rät: "Ein bisschen Raffinesse kann nicht schaden."