Für Taxifahrer in Manila sind die Feiertage inklusive langem Wochenende der Himmel auf Erden. Die Straßen der philippinischen Hauptstadt sind leergefegt. Mit Ausnahme der großen Shopping Malls sind die Geschäfte geschlossen. Die Menschen sind auf den Friedhöfen in der Stadt oder heim in ihre Städte und Dörfer gefahren, um Undas mit der Familie zu verbringen. Tokioter Verhältnisse herrschen allerdings in der Hochbahn. Tausende drängen sich in Zügen, die sich an der Station Blumentritt rapide leeren. Von hier aus geht es zu Fuß den letzten Kilometer zum Friedhof von Nord Manila.
Die Blumentritt Straße ist für den Verkehr gesperrt. In der Mitte und an den Rändern bieten Hunderte Händler ihre Waren feil. Obst und Gemüse sind ebenso im Angebot wie Kerzen und Blumen für die Gräber. Andere verkaufen glitzernden Weihnachtsschmuck und gruselige Halloween-Masken. Über allem steigt von den Garküchen der Duft von gegrillten Bananen und anderen Leckereien der philippinischen Küche in die Luft.
Ein Picknick auf dem Friedhof
Über den Markt schieben sich den ganzen Tag erstaunlich wohl geordnet und diszipliniert Menschenmassen zu und von dem Friedhof. Wichtigste Utensilien für den Friedhofsbesuch sind Schirme als Schutz vor der sengenden Tropensonne sowie mit Essen und Trinken vollgepackte Plastiktüten und Einkaufstrolleys. Die Friedhofsbesuche sind Familienfeste mit Picknick. Nach offiziellen Schätzungen waren zu Allerheiligen mehr als 300 000 Menschen zum Nordfriedhof gekommen. Am Abend zuvor waren es bereits 50 000, von denen mancher gar auf dem Gottesacker übernachtete.
Die Gräber kommen in zwei Typen. Wer es sich leisten kann, baut der Familie und ihren Toten ein Mausoleum, von denen so ziemlich jedes größer ist als jede der armseligen Hütten in einem der vielen Slums Manilas. Typ zwei sind freistehende Sarkophage aus Marmor. Aber ob Mausoleum oder Sarkophag, die letzten Ruhestätten der Verstorbenen stehen dicht an dicht, die Sarkophage sind oft aus Platzmangel übereinander gestapelt. Immer mehr, immer größere Kolumbarien für Urnenbestattungen werden gebaut. „Die Friedhöfe sind genauso überbevölkert wie die ganze Stadt“, sagt Robie Delos Reyes, der dem Grab seiner Großmutter einen Besuch abstattet.
Auf dem Friedhof geht es zu wie auf einem Jahrmarkt. Entlang der Hauptwege werden an erfrischende Getränke, leckere Pizza, preiswerte Sim-Karten, bunte Ballons und entspannende Massagen angeboten. Auch das Leben an und auf den Gräbern ist munter. Familien sitzen auf dem Boden oder auf mitgebrachten Campingstühlen, essen, trinken, erzählen sich Geschichten. Kinder und Teenager hocken unbeschwert und furchtlos auf den Sarkophagen ihrer Großeltern oder Eltern, haben Spaß, spielen und lassen es sich gut gehen.
„Wir sind schon seit 6 Uhr heute Morgen hier“, erzählt Nene Vitan strahlend. Zusammen mit ihrer Tochter, zwei Enkelkindern und ihrer Schwester hat sie es sich im Mausoleum ihres 2012 im Alter von 56 Jahren verstorbenen Mannes gemütlich gemacht. „Wir wollten vor der Hitze hier sein“, lacht Vitan und sie würden auch erst so gegen 19 Uhr, also nach der Tageshitze, wieder nach Hause gehen.
In dem nach zwei Seiten offenen Mausoleum ist es schattig und relativ kühl. Ein schmuckes Gitter trennt die Familie von dem auf dem Weg unendlich langziehenden Menschenstrom. Die Vitans sind gastfreundlich, laden den neugierigen Besucher aus Deutschland zum Essen ein. „Haben Sie hier auch Angehörigen liegen?“, fragt Vita. Die Antwort, dass es sich um einen Recherchebesuch für eine Geschichte über Undas handelt, erfreut. „Das ist schön. Dann lernen die Menschen in Deutschland unsere Sitten und Gebräuche kennen.“ Bereitwillig gibt die 62-jährige auch Auskunft den Preis für das Mausoleum. „Das hat 300 000 Pesos (5000,00 Euro) gekostet“, sagt sie und fügt mit Betonung hinzu: „Das war vor sechs Jahren. Heute wäre es um einiges teurer.“
Auf dem christlichen Friedhof feiern an Allerheiligen auch abergläubiges und heidnisches fröhlich Urständ. In einem Mausoleum ist eine Mutter dabei, ihrem Sohn und ihrer Tochter, beide im Teenageralter, die Gesichter zu Halloweenfratzen zu schminken. Janine hingegen will sich nicht fotografieren lassen. „Wissen sie, ich bin schwanger. Deshalb bitte kein Foto“, sagt die junge Frau, die zusammen mit ihrer Schwester an einem Stand Getränke, hartgekochte Eier, gebratene Nudeln, Süßigkeiten und Zigaretten verkauft. Schwanger fotografiert zu werden bringe Unglück, sagt sie im Brustton der Überzeugung. Das Einzige, was auf den Friedhöfen nicht erlaubt ist, ist die auf den Philippinen sonst allgegenwärtige Musik. Mit den Taschenkontrollen am Eingang zum Friedhof will die Polizei nicht verhindern, dass Waffen und Sprengstoff auf den Friedhof gelangen, sondern auch Lautsprecher.
Große christliche Feste eine Einladung für Anschläge
Für Polizei und Sicherheitskräfte stellen die Undas-Tage eine gewaltige Herausforderung dar, sind doch die Philippinen ein von vielen Konflikten geprägtes Land. Auf der Insel Mindanao treiben zum Beispiel islamische Terrorgruppen wie Abu Sajaf ihr Unwesen, für die große christliche Feste geradezu eine Einladung für Anschläge darstellen. Alleine auf den 80 Friedhöfen und 30 Kolumbarien der Hauptstadt Manila sind mehr als 3400 Polizisten zum Schutz der die Gläubigen vor terroristischen Anschlägen im Einsatz. Auf den ganzen Philippinen sind es 32 000 Polizsten, die von Beamten mit Bombenspürhunden sowie 87 000 Freiwilligen aus Kirchengemeinden, Lokalverwaltungen und Bürgergruppen unterstützt werden.
Allerdings ist auf den Friedhöfen die ganz gewöhnliche Kriminalität eine viel unmittelbarere Gefahr als der Terrorismus. Undas ist ein Hochfest für Taschendiebe. „Nimm nichts wertvolles zum Friedhofsbesuch mit“, rät Delos Reyes mir. Sicherheitshalber geht der 19-jährige als menschlicher Schutzschild hinter mir, damit niemand an meinen Rucksack rankommt. Dass die Vorsicht nicht übertrieben ist, sieht man am Verhalten vieler Friedhofsbesucher: sie haben sich Rucksäcke und Taschen sicherheitshalber über den Bauch gehängt.
Warnung vor Fake-Priestern
Ein anderes Ärgernis sind die falschen Priester, die sich die Segnung der Gräber gut bezahlen lassen. Die katholische Bischofskonferenz veröffentlichte kurz vor Allerheiligen ihre eindringliche jährliche Warnung vor „fake Priestern“.
Undas ist ein Fest für alle Christen der mehrheitlich katholischen Philippinen. „Ich gehe zu Allerheiligen nicht zur Segnung von Gräbern auf den Friedhof. Das ist ja mehr eine katholische Tradition“, sagt Juliet Solis. Aber die Pastorin der protestantischen „United Church of Christ in the Philippines“ (UCCP) gibt freimütig zu, dass sich die protestantischen Christen wenig darum scheren, dass Allerheiligen ein eher katholischer Feiertag ist. „Sie gehen genauso zu den Friedhöfen wie die Katholiken und feiern das Leben.“