Beschaulich geht es in diesen Herbsttagen in Wittenberg zu. Noch vor einem Jahr schaute die Welt auf die kleine rund 47.000 Einwohner zählende Stadt in Sachsen-Anhalt. Das 500. Reformationsjubiläum brachte einen Besucheransturm, auch internationaler Gäste. Vor einem Jahr, am Reformationstag (31. Oktober), bildeten sich lange Schlangen vor Schloss- und Stadtkirche. Längst nicht alle Menschen, die sich darin eingereiht hatten, fanden einen Platz in den Gottesdiensten. Die Stadt war voll mit Menschen, die den Ursprungsort der Reformation besuchen wollten, an den Gottesdiensten und Feierlichkeiten teilhaben wollten. Inzwischen ist es wieder ruhiger geworden.
Es ist ruhiger geworden
Leer und grau wirkt die Stadt aber auch ein Jahr später nicht. In einer Bilanz am Jahresanfang hatte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hervorgehoben, dass Wittenberg im vergangenen Jahr "schöner geworden" sei und viele Menschen weltweit inspiriert habe. Aus seiner Sicht hat das Reformationsjubiläum viele Spuren hinterlassen. So gibt es etwa die sanierten Gebäude und Straßenzüge, darunter vor allem die berühmte Schlosskirche, die nun der EKD gehört, das dazu gehörende Ensemble und das Augusteum. Das ist das, was bleibt.
An die Tür der Schlosskirche soll Martin Luther (1483-1546) am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit angeschlagen und damit die weltweite Reformation ausgelöst haben. Die Folge war die Spaltung in evangelische und katholische Kirche. Gerade im vergangenen Jahr ging es den Kirchen aber nicht nur um den Geburtstag der evangelischen Kirche, sondern auch darum, die Ökumene weiter voranzubringen. Etwas, was im säkularisierten Osten des Landes wahrscheinlich weniger wahrgenommen wurde als die Werbeslogans für das "Ursprungsland der Reformation" und die unzähligen, teilweise auch schrägen und lustigen Souvenirs, die anlässlich 500. Jahren Reformation auf den Markt geworfen wurden.
Viele kommen erst nach dem Hype
So begegnen den Besuchern in Wittenberg in der Touristeninformation gegenüber der Schlosskirche und in den Auslagen zahlreicher Geschäfte noch immer Luther-Figuren, Luther-Bier und Luther-T-Shirts. Und noch immer lassen sich Gäste vor der Thesentür der Schlosskirche ablichten, die natürlich längst nicht mehr die originale Tür ist. Oder sie schießen Fotos vor den Bronzestatuen Luthers und seines Weggefährten Philipp Melanchthon (1497-1560) auf dem Marktplatz. In den Straßen und Gassen begegnet man Familien und Reisegruppen aus Frankreich, den USA oder Südkorea. Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) meint, viele Interessierte kämen erst jetzt, "wo der Hype um das Reformationsjubiläum vorbei ist".
Zugehör räumt aber auch ein, dass nicht mehr so viele Touristen kommen wie 2017. Das sei abzusehen gewesen. Verglichen mit einem "normalen" Jahr wie 2016 seien aber die Übernachtungszahlen noch immer gut. Nun hofft die Lutherstadt, im kommenden Jahr auch vom 100. Gründungsjubiläum des Bauhauses zu profitieren. Die Bauhaus-Stadt Dessau-Roßlau liegt sozusagen nebenan.
Ein Jahr des Durchatmens
Der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Stefan Rhein, sagt, es sei allen Beteiligten klar gewesen, dass "das Jahr 1 nach dem Reformationsjubiläum" mit dem großen Festjahr nur schwer vergleichbar wird und eher ein Jahr des Durchatmens ist. Die Luthergedenkstätten hätten auf jeden Fall von den Baumaßnahmen profitiert und über das Jubiläumsjahr hinaus bleibe ihre internationale Wahrnehmung. Die Stiftung habe sich durch die Nationale Sonderausstellung "Luther! 95 Schätze - 95 Menschen", den internationalen Lutherforschungskongress und ihre Publikationen viel Zuspruch erworben. Rhein betont: "Sie ist heute über Deutschland hinaus ein zentraler Akteur bei der öffentlichen Vermittlung Luthers und der Reformation."
Wittenberg wirbt in diesem Jahr mit dem Slogan "Schön wie nie!". Wer vom Bahnhof in Richtung Altstadt geht, an den Museen und Kirchen vorbei, kann sich davon ein eigenes Bild machen. Am 31. Oktober gibt es wieder ein großes Reformationsfest mit Festgottesdiensten in der Lutherstadt Wittenberg. Im Luthergarten, einem ökumenischen Projekt des Lutherischen Weltbundes, stehen die letzten Pflanzungen an.