Das Drehbuch basiert auf dem Tatsachenroman "Nicht gehört - fast zerstört" von Angelika Nachtmann, die darin das ergreifende Schicksal ihrer kleinen Tochter beschreibt: Mit vier Jahren hört das Kind auf zu wachsen. Die Mutter spürt, dass irgendwas nicht stimmt, aber kein Arzt will ihr zuhören. Als schließlich die Ursache für die auffälligen Symptome des Kindes entdeckt wird, ist es für eine herkömmliche Operation zu spät. Es gibt eine letzte Hoffnung, eine Koryphäe auf der anderen Seite des Atlantiks, aber das Mädchen ist nicht mehr transportfähig.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Drehbuch (Angelika Schwarzhuber, Christian Lex) verknüpft Magdalenas Leidensweg mit einem traumatischen Kindheitserlebnis der Mutter. Die gemeinsame Achse sind zwei Prozesse, deren zentrale Figur jeweils Hanni ist: mal als Jugendliche, mal als Erwachsene; und natürlich bezieht der Film seine Spannung aus der Frage, worauf diese beiden Parallelstränge am Ende hinauslaufen. Hans Steinbichler bettet die Geschichte in eine komplexe Rückblendenstruktur mit mehreren Ebenen, zwischen den die Handlung ständig hin und her hüpft. Trotzdem verliert der Film nie den Überblick, zumal ein schlichtes, aber wirkungsvolles ästhetisches Konzept die Orientierung erleichtert: Die Ereignisse aus Hannis Jugend sind düster, die Rückblenden in die ersten unbeschwerten Jahre mit Magdalena in goldgelbes Licht getaucht. Den Gegenwartsrahmen bildet ein Prozess, in dessen Verlauf sich Hanni immer wieder an ihre ersten Erfahrungen vor Gericht erinnert. Auch damals hatte ihr niemand glauben wollen, allen voran nicht die eigene Mutter; dabei sind die tiefen Narben an den Innenseiten der Oberschenkel noch heute ein unmissverständliches Stigma.
Bei allem Respekt vor Steinbichlers Geschick, die beiden Ebenen so miteinander zu verknüpfen, dass trotz der ständigen Zeitsprünge ein harmonischer Erzählfluss entsteht: Es ist Rosalie Thomass, die den Film zusammenhält. Mit großer Glaubwürdigkeit verkörpert sie die oberbayerische Bäuerin, die niemals aufgibt, für aber die schon München eine andere Welt darstellt; geschweige denn New York. Der Film beschreibt Hanni als Kämpfernatur, die sich nicht unterkriegen lässt; weder von einer furchtbaren Mutter (in den Gegenwartszenen von Gundi Ellert gespielt) noch von ihrer Schwiegermutter (Gisela Schneeberger als Stereotyp des Gift spritzenden Heimatdrama-Drachens). Ungleich intensiver und berührender aber sind die Szenen, in denen die Frau an ihre Grenzen stößt: weil ihr einfach niemand glauben will, dass mit Magdalena irgendwas nicht stimmt; weil sie in ihrer Fixiertheit auf die Tochter Mann und Söhne vernachlässigt; und weil ihre Ohnmacht und der daraus resultierende Zorn von Zeit zu Zeit ein Ventil brauchen. Es sind gerade diese Brüche, die die Figur so spannend machen; und Rosalie Thomass, deren Spiel nie vergessen lässt, wie unerhört es ist, dass Hanni derart über sich hinaus wächst. Das Drama lebt daher auch von den wechselnden Emotionen der Hauptfigur: von ihrer Hilflosigkeit angesichts der ignoranten Ärzte, die Magdalenas ständige Kopfschmerzen und ihre Appetitlosigkeit als psychische Instabilität wegreden wollen und es gar nicht mögen, wenn Hanni sie mit angelesenem Fachwissen belehrt, bis zu dem mitreißend inszenierten Moment, als beim Gespräch mit dem New Yorker Arzt all’ ihre Verzweiflung aus ihr heraussprudelt. "Eine unerhörte Frau" ist gerade wegen Thomass’ großer empathischer Leistung emotional ziemlich anstrengend, aber das ist der Film wert.