Der Titelzusatz "Auch Strippen will gelernt sein" setzt allerdings einen eher plumpen Impuls, der außerdem womöglich falsche Erwartungen weckt, selbst wenn er inhaltlich nicht falsch ist: Jonas (Eugen Bauder), um die dreißig, hat sich halbwegs erfolgreich als Model für Unterwäsche versucht, kehrt nun in sein brandenburgisches Heimatdorf zurück, wo auch sein achtjähriger Sohn lebt, und verdingt sich als Bauarbeiter in der Firma seines väterlichen Freundes Cem (Adam Bousdoukos). Als er auf dem Gerüst eine Show im Stil des Cola-Light-Werbespots abzieht, entdeckt der zufällig anwesende Stripclub-Besitzer Victor (Laufstegtrainer Jorge González) das Potenzial des attraktiven Manns. Jonas schlägt das großzügige Angebot aber aus: Er will nur gemeinsam mit seinen nicht weniger gut gebauten Kollegen Richi und Micha (Nyamandi Adrian, Mathias Ludwig) auftreten. Weil sich das Trio bei den Proben recht ungeschickt anstellt, zeigt ihnen Cem, wie’s geht. Der Boss hat zwar keinen Chippendale-Body, aber ein begnadetes Körpergefühl, weshalb die drei ihn kurzerhand zum Mitmachen überreden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zum Glück beschränkt sich das Drehbuch nicht auf den Showtanz. Die Auftritte des Quartetts sind zwar richtig gut choreografiert und dank entsprechender Popmusik angemessen mitreißend, aber ohne die weiteren Handlungsebenen wäre "Unsere Jungs" – der Titel bezieht sich auf den Namen von Cems Firma - bloß ein Film für Menschen, die sich gern Männerkörper anschauen. Damit andere Zielgruppen ebenfalls auf ihre Kosten kommen, verliebt sich Jonas in die schöne Bar-Bekanntschaft Katja (Janina Uhse). Als sich rausstellt, dass die angehende Sportmedizinerin die Fußballtrainerin seines Sohns Tim ist, beendet sie die Beziehung jedoch, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat; sie will vermeiden, dass bei den anderen Kindern der Eindruck entsteht, sie könne den Jungen bevorzugen. Außerdem ist Jonas im Grunde selbst noch ein Kind und muss erst mal erwachsen werden, um bereit für die große Liebe zu sein. Der Reifeprozess, und das ist die dritte Ebene, vollzieht sich in seiner Beziehung zu Tim, mit dem er zunächst überhaupt nichts anzufangen weiß.
"Unsere Jungs" basiert auf einem gleichnamigen holländischen Film ("Onze Jongens"), der 2017 immerhin Platz zwei in den niederländischen Kinocharts belegte. Die deutsche Adaption hat die Serienautorin Tamara Sanio ("Unter uns", "Verbotene Liebe") besorgt, Regie führte Florian Gärtner, der für Sat.1 unter anderem "Die Mongolettes" und Teile der Serie "Frauenherzen" sowie für die ARD-Tochter Degeto zuletzt die sehenswerte Tragikomödie "Schwarzbrot in Thailand" gedreht hat. Seine Inszenierung lebt vor allem von den schwungvollen Showtanzeinlagen und den Blickfangkörpern der drei Männer, aber der Film ist mehr als bloß eine Nummernrevue. Sehr sympathisch ist zum Beispiel der Tonfall. Wenn sich Jonas und seine Kumpane als Bauarbeiter, Feuerwehrleute oder Polizisten den johlenden Frauen präsentieren, wirkt das wegen der heiteren Elemente nur dann anzüglich, wenn jemand ausgesprochen prüde ist; abgesehen davon lassen die Tänzer natürlich nicht alle Hüllen fallen. Wider Erwarten ist "Unsere Jungs" auch darstellerisch sehenswert. Eugen Bauder, bislang vorwiegend in kleineren Rollen zu sehen (etwa als Nebenbuhler in der RTL-Serie "Der Lehrer"), ist eine echte Überraschung. Anfangs scheint Gärtner ihn tatsächlich auf seinen trainierten Körper zu reduzieren, aber mit zunehmender Handlung entwickelt die Figur eine Tiefe, der Bauder auch schauspielerisch gerecht wird. Nicht minder sehenswert ist Janina Uhse, die nach ihrem Abschied von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" schon letztes Jahr in einer Nebenrolle der Sat.1-Komödie "Leg dich nicht mit Klara an" gezeigt hat, dass die erste Hauptrolle nur eine Frage der Zeit ist.
Beide, Bauder wie Uhse, haben auch großen Anteil am ironischen Unterton des Film; das entschädigt dafür, dass "Unsere Jungs" gar nicht erst versucht, seine Geschichte im Stil der thematisch immerhin verwandten britischen Sozialkomödie "Ganz oder gar nicht" zu erzählen. Die ersten erotischen Entkleidungsversuche des Quartetts sind ein amüsantes Scheitern am Rande des Slapsticks, das Kreischen der weiblichen Bewunderinnen ist fast schon satirisch überhöht. Höhepunkt der Beziehungsanbahnung ist ein gemeinsamer Tanz von Jonas und Katja, mit dem sich das Paar bei einer Hochzeitsfeier vor allem über die weiblichen Gäste lustig macht. Wenige Tage zuvor waren die Frauen beim Junggesellinnenabschied noch von Jonas begeistert, nun erkennen sie ihn nicht wieder, weil den Männern, wie er weiß, bei solchen Gelegenheiten eher selten ins Gesicht geschaut wird. Auf der anderen Seite behandeln Buch und Regie die ernsten Seiten der Geschichte seriös: Rückhaltlose Sympathie verdient sich Jonas erst, als er seinen Sohn nicht länger als lästige Pflicht betrachtet. Um zu erkennen, was wirklich zählt im Leben, muss Jonas Abstand gewinnen. Mit seinem Ausflug nach Miami und einem inneren Monolog beginnt der Film auch, womit sich die Verantwortlichen allerdings trotz der eindrucksvollen Nachtbilder keinen Gefallen tun, denn Bauder ist kein guter Off-Sprecher, und was Jonas von sich gibt, ist ohnehin maskuliner Quark: "Männer sind Jäger. Und wer jagt, muss auch schießen." Als der Film den Prolog wieder eingeholt hat, vermittelt Gärtner ganz ohne Worte, wie hohl sich das ausschweifende Leben in Miami für den Helden anfühlt.