Ohne die Freimaurer gäbe es heute kein modernes Parteiensystem in Europa. Sie waren es vor allem, die sich während der Französischen Revolution für bürgerliche Rechte und Freiheiten eingesetzt haben. So setzten sie sich etwa dafür ein, dass den Menschen durch Verdienst oder eigenen Leistung in der Politik, in der Verwaltung und im Rechtswesen dazu berechtigt wurden, ein Amt auszuüben. Dieser Anspruch eint die Freimaurer mit den Protestanten. Vor der Französischen Revolution und vor dem Einsatz der Freimaurer wurden Ämter nämlich nahezu nur vererbt. Die Ämter waren dem Adel vorbehalten.
Im Museum der Freimaurer
Die Freimaurer nennen sich auch Templer. Dabei beziehen sie sich auf den Tempel des Königs Salomo. Dieser Tempel ist beispielsweise auf einer Tabakdose aus dem 19. Jahrhundert zu sehen, die im Pariser Freimaurer-Museum ausgestellt ist. Dieses philosophische Kleinod ist aus dem Holz eines immergrünen Buchsbaums gefertigt.
Im Freimaurer-Museum lassen sich noch weitere Gegenstände entdecken: etwa die Maurerschürze Voltaires (1694-1778). Der Philosoph Voltaire hat die Weihe des Freimaurer-Ordens Les Neuf Sœurs gegen Ende seines Lebens empfangen. Die im Museum zu sehende Schürze zeigt den Baum der Erkenntnis aus der Genesis, in dessen Ästen sich eine Schlange einquartiert hat. Denn Religion und Vernunft gehören für die Freimaurer ebenso zusammen wie intellektuelle Entwicklung und moralischer Fortschritt. Als Symbol dafür sieht man daher auf Voltaires seidener Schürze Salomos Tempel. Schon König Salomo wollte in seinem Tempel intellektuelle Entwicklung und moralischen Fortschritt verbinden. Bestückt ist diese Schürze mit den Werkzeugen des Tempelbaus, welche die Symbole der Freimaurer sind: Winkel und Zirkel symbolisieren Stoff und Geist. Erkennbar sind auch Lineal und Geodreieck, Waage und Senkblei, Kelle und Stecheisen, Hammer und Schere.
Im Kuriositätenkabinett des Museums entdeckt man auch eine dreieckige blaue Wanduhr aus dem späten 19. Jahrhunderts. Ein Winkel und Zirkel ist auf einem blauen Kristallglas zu erkennen. Ebenfalls ist ein dreieckiges Architektenbuch ausgestellt. Die Medaille der Loge Chapitre de la Parfaite Egalité aus feinem Silber zeigt zwei Skelette: das erste gekrönt, das zweite ungekrönt - soll heißen: alle Menschen sind vor dem Tod gleich. Und darum sollen sie auch in der Französischen Republik gleich an Rechten sein. Diesen Anspruch begründen die Freimaurer mit der Geschichte von Jakob und Esau aus der Bibel. Nach der Tradition darf von diesen beiden nur der ältere Esau Gut und Ämter vom Vater Isaak erben. Jakob aber ist intelligent. Er kauft seinem Bruder Esau das Ältestenrecht gegen ein Linsengericht ab. Die Freimaurer mögen diesen Jakob aus der Bibel. Er hat Witz und Schneid und er ist bereit, hart zu arbeiten. Darum nennen sie sich Jakobiner.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Auf dem achteckigen Fayence-Teller im Pariser Freimaurer-Museum ist zu sehen, wie der Architekt Hiram dem König Salomo den Bauplan seines Tempels erklärt. Ein anderer Teller zeigt den Turmbau zu Babel, der dafür steht, dass die Menschen gleich und eins über die einzelnen Sprachen hinweg sein sollen. Dazu schreibt der Philosoph und Freimaurer André Michel Ramsay (1686-1743) im Jahr 1738: "Die Menschen sind nicht wesentlich unterschieden durch den Unterschied der Sprachen, die sie sprechen, die Kleider, die sie tragen, der Länder, die sie bewohnen, noch der Würden, mit denen sie bekleidet sind. Die ganze Welt ist nur eine große Republik." Diese Menschheitsvision hat die Freimaurer stets motiviert und beflügelt.
Auch die Losung der Französischen Republik kommt von den Freimaurern: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die beiden ersten Ideale stammen aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1789. In Artikel 1 heißt es dort: "Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten geboren." In Artikel 2 heißt es: "Diese Rechte sind: Gleichheit, Freiheit, Sicherheit und Eigentum." Ein Jahr später kam die Brüderlichkeit hinzu. Diese Brüderlichkeit war damals eine andere Form als die von der katholischen Kirche gelehrte, die sich auf das reine Gebot der Nächstenliebe bezog. Hinzu kommen noch die Ideale Toleranz und Humanität.
1792 billigten die Freimaurer öffentlich die Revolution in Frankreich. Einflussreich wurden sie dann im Kaiserreich Napoleon Bonapartes (1769-1821). Der Kaiser bestückte seinen Bruder Joseph mit der Freimaurer-Würde des Grand Maître. Aus dieser Zeit stammt der Einweihungsritus. Dabei nimmt der Schüler an den Versammlungen seiner Loge teil. Die Freimaurer organisieren sich in Form von Logen und ihr Versammlungsort ist der Tempel. Die Freimaurer haben an vielen Kathedralen Europas mitgebaut. Die Hauptarbeit des Freimaurers ist aber eine individuelle Arbeit an sich selbst. Dazu kann gehören, dass man einen persönlichen Stein behaut, um sich an die Herkunft vieler Freimaurer aus dem Bauwesen zu erinnern.
1849 definiert die Loge Grand Orient de France in ihrer Verfassung die Freimaurer als "wesenhaft menschenfreundlich, philosophisch und fortschrittlich". Sie wählt als ihre Losung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das Dreieck fasst im Symbol diese drei Ideale zusammen. Manchmal kommt dazu ins Dreieck ein Auge. Man kann es als Zeichen der Erkenntnis lesen. Ein weiteres Symbol der Freimaurer ist die Sanduhr. Sie steht für die Vergänglichkeit.
Blütezeit der Freimaurer
Die größte Blütezeit erleben die französischen Freimaurer in der Dritten Republik (1871-1940). Der protestantische Pastor und Freimaurer Frédéric Desmons (1832-1910) war Vizepräsident des Senats und vertrat Frankreich 1886 bei der Enthüllung der Freiheitsstatue von New York. Die Großloge des Grand Orient de France hat diese Statue wesentlich mit finanziert.
Und die New Yorker waren ihnen dafür dankbar. Sie schenkten den Bürgern von Paris daher eine kleinere Nachahmung der Statue aus Bronze in einer Höhe von 2,85 Metern. Die Pariser stellten diese Bronzestatue vor Frédéric Desmons Arbeitsplatz auf: dem Senatshaus im Pariser Jardin du Luxembourg. Dort stand sie, bis 2012 ein Unbekannter die Fackel kurzerhand absägte. Die amputierte Freiheitsstatue zog ins Musée d’Orsay und wurde im Jardin du Luxembourg durch eine einfachere Kopie ersetzt.
Viele Freimaurer sind Protestanten
In der Dritten Republik wurden die Logenhäuser der Freimaurer dann Werkstätten der republikanischen Werte. Im Grand Orient de France trafen sich Republikaner, Sozialisten und Anarchisten. Ab den Wahlen von 1877 zogen sie in Senat und Parlament ein. Der Grand Orient gründete die Liga der Menschenrechte mit. Die Freimaurer erkämpften viele bürgerliche Rechte und Freiheiten, die heute in Europa selbstverständlich geworden sind: sie setzten sich unter anderem für die bürgerliche Ehescheidung ein. Sie liberalisierten die Bestattungsformen und erlaubten 1887 die Einäscherung. Sie gründeten Volkshochschulen und Arbeitervereine. Hand in Hand mit dem protestantischen Pädagogen Ferdinand Buisson (1841-1932) schuf der Freimaurer Jules Ferry (1832-1893) eine kostenfreie Schulausbildung für alle Bürger im Staat.
Erst seitdem wurde Bildung ein allgemeines Gut und war nicht mehr nur ein Vorrecht der Reichen. In dieselbe Richtung stieß der Gewerkschafter und Freimaurer Arthur Groussier (1863-1957) mit seiner Reform des Vereinsrechts von 1901. Damals wie heute sind viele Freimaurer auch Mitglied einer protestantischen Kirche. In Frankreich wie in Deutschland. Genaue Zahlen liegen allerdings nicht vor. Denn wer einer Loge beitritt, muss seine Religion nicht angeben. So war der Alte Fritz (1712-1786) Protestant und Freimaurer. Und Frédéric Desmons entwickelte Martin Luthers Gewissensfreiheit zur absoluten Gewissensfreiheit weiter.