Die Handlung beginnt mit einem Brandanschlag. Die filmische Umsetzung ist schlicht, aber wirkungsvoll, weil das Ereignis im Grunde nur auf der Tonspur stattfindet: eine klirrende Scheibe, Flammen, das typische Geräusch eine Farbsprühdose. Jemand hat am späten Abend einen Molotowcocktail in einen Friseursalon geworfen; in dem Feuer ist eine Angestellte umgekommen. Auf dem Bürgersteig steht "Kill all Nazis". Die Frau hatte wenige Tage zuvor Streit mit einem afrikanischen Dealer, der sie angeblich als "Nazi-Bitch" beschimpft hat. Als der Mann, ein Flüchtling aus dem Senegal (Warsama Guled), der Polizei ins Netz geht, scheint der Fall klar; allein Hauptkommissarin Janneke (Margarita Broich) hat noch Zweifel. Tatsächlich zeigt sich, dass er mit dem Anschlag nichts zu tun haben kann, wie die Überwachungskamerabilder eines Einkaufszentrums beweisen. Dann stellt sich raus, dass das Opfer nur zufällig im Laden war; in Wirklichkeit ist auch nicht sie, sondern ihre etwas schicht gestrickte Kollegin Vera (Jasna Fritzi Bauer) mit dem Afrikaner aneinandergeraten. Und schließlich stoßen Janneke und Brix (Wolfram Koch) auf ein gruseliges intellektuelles Nazinetzwerk.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Gewissermaßen zum Ausgleich wird eine Menge gesungen in diesem Krimi; selbst die Ermittler brechen irgendwann in Gesang aus. Vera, die sich gegen die "Vermischung von Ethnien" ausspricht, ist gemeinsam mit zwei von vornherein unsympathischen Schwestern im Geiste Mitglied eines Chors, der sich dem deutschen Liedgut verschrieben hat. Volksliedfreunde werden mit wachsendem Unmut feststellen, dass sie sich durch das Singen von Klassikern wie "Kein schöner Land in dieser Zeit" oder "Hoch auf dem gelben Wagen" in die rechte Ecke begeben. Dass böse Menschen keine Lieder haben, ist dank der deutschen Vergangenheit hinlänglich als Unfug entlarvt, aber dass sich Volksliedfreunde automatisch reaktionärer Tendenzen verdächtig machen, stammt aus der Mottenkiste des linken Populismus. Gesellschaftskritik ist eines der typischen Merkmale der Fernsehfilme vom Hessischen Rundfunk, aber diesmal hat es sich die Redaktion zu einfach gemacht, zumal das schlichte Schwarzweißdenken allzu offenkundig ist. Khyana El Bitar und Dörte Franke (hier verstärkt durch Stephan Brüggenthies) haben kürzlich auch das Drehbuch zum kapitalismuskritischen Hochfinanzdrama "Dead Man Working" geschrieben und lassen Janeke einen erzieherisch wertvollen Vortrag zum Thema Hautfarbe halten.
Um die Botschaft zu verdeutlichen, quartiert das Drehbuch zu Beginn einige Flüchtlinge bei Brix ein; seine Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) hat sie aufgenommen, weil es in dem Heim in der Nähe einen Wasserrohrbruch gegeben hat. Brix ärgert sich zwar, weil er morgens erst mal warten muss, bis er ins Bad kann, aber ansonsten machen die Leute einen guten Eindruck. Eine besondere Rolle kommt gegen Ende der jungen Najla (Maryam Zaree) zu: Aus unerfindlichen Gründen verfolgt sie Vera und wird dabei von drei jungen Deutschen angepöbelt und krankenhausreif zusammengetreten; eine Szene, die gerade wegen der Sinnlosigkeit der Tat wütend macht. Mit der Geschichte des Films hat sie jedoch überhaupt nichts zu tun, weshalb sie zur puren Stimmungsmache verkommt. Gegenentwurf sind die zwei Freundinnen Veras. Gerade die von Anna Brüggemann kalt bis ins Herz verkörperte geistige Führerin der jungen Frau ist ein besonders gruseliges Exemplar einer Rechtsintellektuellen, die während der polizeilichen Befragungen wie eine Glucke über ihre Mitbewohnerin wacht; sie ist auch die Urheberin jener Sätze, die Vera nachplappert. Und so entpuppt sich der Anschlag schließlich wenig überraschend als Komplott, das allein der Stimmungsmache gegen Ausländer dienen sollte.
Um die Geschichte etwas aufzulockern, hat sich das Drehbuchtrio eine lustige Rolle für den neuen Chef des Ermittlerduos ausgedacht. Der Mann trägt den exotischen Namen Fosco Carridi (Brix versteht zunächst "Karibik") und überrascht seine Mitarbeiter, indem er mehrfach unvermittelt Gedichte des Sprachspielers Ernst Jandl deklamiert, was die Polizisten genauso verwirrt wie mutmaßlich die Zuschauer. Diese Szenen sind ohnehin eher skurril als komisch; dabei hat sich der Schweizer Regisseur Markus Imboden gerade bei seinen Zusammenarbeiten mit dem Autor Holger Karsten Schmidt ("Mörder auf Amrum") als Meister des subtilen Humors bewiesen. "Land in dieser Zeit" ist jedoch das Gegenteil von subtil.