TV-Tipp: "Der große Rudolph" (ARD)

TV-Tipp: "Der große Rudolph" (ARD)
19.9., ARD, 20.15 Uhr: "Der große Rudolph"
Die Idee ist gewagt, aber sie funktioniert: Anstatt die schillernde Biografie des Münchener Modedesigners Rudolph Mooshammer klassisch von der Wiege bis zur Bahre zu erzählen, reduziert Alexander Adolph das Leben des Boutiquebesitzers auf wenige Wochen Mitte der Achtziger; der Aufstieg des Paradiesvogel zum Star der Schickeria-Szene bleibt ebenso ausgespart wie seine Ermordung zwei Jahrzehnte später.

Außerdem bedient sich der Autor und Regisseur, Schöpfer der ZDF-Krimireihen "München Mord" und "Unter Verdacht" (und dafür unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet), einer bewährten erzählerischen Methode, um Mooshammer zu charakterisieren: Die Episode aus dem schillernden Dasein des Designers wird größtenteils aus der Perspektive einer fiktiven jungen Frau erzählt, die vorübergehend im Geschäft arbeitet, bis Mooshammers eifersüchtige Mutter sie hinaus intrigiert.

Weil aufwändige Rekonstruktionen des Straßenbilds naturgemäß viel zu teuer gewesen wären, trägt sich die Handlung größtenteils in den Verkaufsräumen oder in Mooshammers Wohnung zu. Der Film konzentriert sich daher fast zwangsläufig auf die drei Hauptdarsteller, deren Leistung auf diese Weise noch besser zur Geltung kommt. Famos ist vor allem Thomas Schmauser, der sich die Titelrolle auf verblüffende Weise angeeignet hat. Faszinierend ist diese Figur nicht zuletzt wegen ihres Facettenreichtums, zumal Adolph offen lässt, welche die wahre Seite Mooshammers ist: der mitfühlende Menschenfänger, der aufbrausende Choleriker, der raffinierte Hochstapler? Dank Schmausers vielschichtigen Spiels wirkt der Mann mitunter wie eine gespaltene Persönlichkeit, weil er mal knallharter Verhandler, mal voller Selbstzweifel ist. Authentisch ist in jedem Fall der enorme Einfluss, den Else Mooshammer auf ihren Sohn hatte. Hannelore Elsner verkörpert die ehrgeizige Frau als Strippenzieherin, die es nicht zulässt, dass ihr jemand die Fäden aus der Hand nimmt; schon gar nicht die unscheinbare Evi, die ihr Sohn eines Tages als Verkaufsassistentin einstellt. Lena Urzendowsky ist als hässliches Entlein ebenfalls eine ausgezeichnete Besetzung. Erst verhilft Evi ihrem Chef, der in der jungen Frau aus der Provinz seine eigenen Wurzeln wiedererkennt, zu einem Auftrag, der seinen Ruin abwendet, dann sorgt sie nach ihrem Rauswurf für einen gesellschaftlichen Eklat, den Adolph mit spürbarem Spaß als Groteske inszeniert.

Gerade im Vergleich zur schillernden Hauptfigur wirken einige Nebenrollen jedoch wie Abziehbilder. Das gilt vor allem für ein Ehepaar, dem die Mehrheitsanteile an Mooshammers Geschäft gehören. Sunnyi Melles spielt die Frau wie alle ihre Filmfiguren, diesmal jedoch mit dem ungewohnten Schweizer Dialekt ihrer Kindheit. Da Hanns Zischler als Mann an ihrer Seite ähnlich eindimensional agiert, ist das vermutlich Absicht. Beide repräsentieren mit ihrer jovial getarnten Geldgier die Oberflächlichkeit der Münchener Bussi-Gesellschaft, deren Bosheiten doppelt schmerzen, wenn sie mit einem Lächeln vorgetragen werden. Weitere Seitenhiebe auf konkrete Vorbilder spart sich Adolph jedoch. Pure und zudem zeitlose Gesellschaftskritik ist allerdings eine Szene, mit der er die Symbiose zwischen Schickeria und dem damals aufkommenden Privatfernsehen entlarvt, als Else das stille soziale Engagement ihres Sohnes an die große Glocke hängen will und der Reporter (Daniel Christensen) vom Lokalsender dafür sorgt, dass eine Aktion mit Obdachlosen in tumultartige Zustände eskaliert. Eine interessante Doppelrolle spielt Robert Stadlober als reiches adeliges Zwillingspaar aus Österreich; der eine Bruder eher schüchtern, aber nicht unsympathisch, der andere eine gestörte Persönlichkeit und nicht gesellschaftsfähig.

Im Grunde gilt das auch für die Hauptfigur, die sich aber gut anzupassen weiß, weshalb es umso geschickter ist, dass Adolph offen lässt, was Wahrheit ist und was Legende. Der Film-Mooshammer ist zumindest ein Verkaufsgenie, das die Kunden überzeugt, erst die richtige Kleidung bringe die inneren Werte zur Geltung. Kleider machen nicht Leute, sondern Persönlichkeiten (Kostümbild: Martina Müller). Zum Glück verzichtet Adolph trotzdem darauf, mit Evi eine typische Aschenputtel-Geschichte zu erzählen: Auch im Abendkleid bleibt die junge Frau sie selbst. Sie repräsentiert die von Mooshammer mehrfach vorgetragene Botschaft des Films: Jeder Mensch ist besonders, ganz egal, aus welchen Verhältnissen er stammt. Mooshammers Herkunft deutet Adolph nur an. Er beschränkt sich ganz auf das Hier und Jetzt der Handlung und belässt dem innerlich zerrissenen Helden selbst dann noch seine Würde, als er ihn im Schlafzimmer ohne Perücke zeigt. Angenehm zurückhaltend bleibt der Film auch in Bezug aufs Sexualleben. Unübersehbar und mehr als bloß eine Andeutung, dass der Mann nicht nur mit seiner Mutter gestraft war, ist dagegen das wuchtige lebensgroße Kruzifix über Mooshammers Bett. Neben der schönen Filmmusik (Christoph Maria Kaiser, Julian Maas) sind Brahms und Wagner genau die richtigen Tonangeber für diese Geschichte über eine einsame Kunstfigur in einer künstlichen Welt.