Die stellenweise drastische Brutalität ließ eine Ausstrahlung der Filme samstags um 20.15 Uhr mitunter bedenklich erscheinen. Sehenswert waren sie dennoch, weil die wechselnden Regisseure den Geschichten – die weiteren Adaptionen waren "Blutadler" und "Brandmal" – gerade dank der oftmals plakativen Farbgebung einen ganz eigenen Look gegeben haben, der sich am amerikanischen Kino orientierte. Mit "Brandmal" setzte Nicolai Rohde, nach Urs Egger und Nils Willbrandt der dritte Regisseur der Reihe, die Ästhetik der beiden Vorgänger nicht nur fort, er verfeinerte sie noch. Gerade die Kameraflüge über die Stadt ließen den Thriller zudem sehr amerikanisch wirken. Diesen eigenen hohen Maßstäben der Reihe wird "Carneval" nicht gerecht. Wer den Roman kennt, wird zudem feststellen, dass Nils-Morten Osburg, der auch gemeinsam mit Willbrandt das Drehbuch zu "Brandmal" geschrieben hat, bei seiner Adaption die halbe Geschichte weggelassen hat. Das muss in diesem Fall allerdings ausnahmsweise kein Fehler sein, denn ein Teil des Buchs spielt in der Ukraine, wo der Geheimdienst den Verbrecher Wassili Witrenko jagt. Russell-Fans erinnern sich: Das ist der Mann, der Maria (Lisa Maria Potthoff), einer Kollegin von Hauptkommissar Fabel (Peter Lohmeyer), in "Blutadler" ein Messer in den Bauch gerammt hat. Nun ist der Gangster nach Deutschland zurückgekehrt und liefert sich mit der italienischen Mafia einen mörderischen Streit um die Herrschaft über Köln; das BKA (im Film repräsentiert durch Martin Feifel) schaut in aller Ruhe dabei zu, wie sich die rivalisierenden Banden gegenseitig dezimieren. Die eigentliche Geschichte, auf die sich auch der Titel bezieht, ist jedoch eine ganz andere: In der Karnevalshochburg treibt ein als Clown verkleideter Mörder sein Unwesen. Jedes Jahr an Weiberfastnacht ermordet er eine üppige Frau, um sich kannibalistisch an ihr zu vergehen. Die Kripo bittet den Hamburger Kollegen als Spezialisten für Serienmorde um Amtshilfe. Fabel, eigentlich urlaubsreif (im Roman denkt er sogar darüber nach, seinen Job aufzugeben), hat aber noch einen anderen Grund, um nach Köln zu reisen: Offenbar will sich Maria an Witrenko (Merab Ninidze) rächen. Osburg und Rohde, der hier erneut Regie führt, gelingt es zwar überzeugender als Russell, diese beiden Ebenen miteinander zu verbinden, zumal die Parallelmontage im Film dramaturgisch besser funktioniert als im Roman, aber restlos überzeugend ist die Kombination trotzdem nicht; über weite Strecken laufen die beiden Geschichten einfach nur nebeneinander her.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Lisa Maria Potthoff hat sich für ihre Rolle in Krav Maga unterweisen lassen, einer in Israel entwickelten Form der Selbstverteidigung, und sich gleichzeitig einer strengen Diät unterzogen, sodass sie in den Sexszenen bestürzend abgemagert aussieht. Die scheinbare Magersucht ist für die Geschichte unerheblich, der Kampfsport nicht, denn Maria macht sich an Witrenkos rechte Hand ran, und dieser Buslenko ist ein ehemaliger Martial-Arts-Kämpfer. Murathan Muslu muss zwar wie schon so oft eine nur bedingt differenziert gestaltete Schurkenrolle verkörpern, macht das aber gerade auch dank seiner eindrucksvollen virilen Präsenz mit großer Glaubwürdigkeit. Als Marias Tarnung auffliegt, dürfen sich Potthoff und Muslu einen fast comic-artigen Nahkampf liefern, wie es ihn so zwischen einem Mann und einer Frau in einem deutschen Fernsehfilm noch nicht gegeben haben dürfte; Rohde inszeniert die blutige Schlacht wie einen mörderischen Pas de deux mit erotischen Untertönen. Parallel dazu sucht Fabel gemeinsam mit den Kölner Kollegen nach dem Karnevalskiller, einem mutmaßlichen menschenfressenden Frauenhasser, der an Weiberfastnacht gezielt Opfer mit geringem Selbstbewusstsein auswählt. Als Täter bietet der Film einen einstigen Sternekoch (Stipe Erceg) an: Der Mann hat sich aus seinem Metier zurückgezogen, als der als Clown verkleidete Mörder das erste Mal zugeschlagen hat. Beide, Maria wie der Mörder, sind also im doppeldeutigen Sinn der englischen Redensart "Dressed to Kill": der Täter, um in der Tat zu töten, Maria, um Buslenko den Kopf zu verdrehen.
Anders als in den bisherigen Fabel-Filmen ist das Konstrukt jedoch nicht schlüssig. Der Koch bleibt eine völlig oberflächliche Figur und wird im Grunde auf Arroganz und Impotenz reduziert. Am Schluss genügt Fabel ein Geistesblitz, um zu erkennen, wer die Morde tatsächlich begangen hat, aber die Auflösung ist an den Haaren herbeigezogen. Während Rohde die Mordmomente mit dem dank seiner stechend grünen Augen wie eine Horrorfigur wirkenden Clown durchaus fesselnd inszeniert und dankenswerterweise auf allzu große Unappetitlichkeiten verzichtet hat, sieht alles, was mit Karneval zu tun hat, sehr arrangiert aus. Die Künstlichkeit dieser Szenen wirkt wie eine Reminiszenz an "Eyes Wide Shut" von Stanley Kubrick, zumal Rohde und Kameramann Felix Novo de Oliveira sie gerade zu Beginn wie einen bösen Trip gestalten. Darüber hinaus verfällt "Carneval" immer wieder in den ganz normalen Duktus eines TV-Krimis, sodass eine deutliche Diskrepanz zu den ästhetisch überhöhten Kinoszenen mit ihren teilweise langen Kamerafahrten entsteht.