TV-Tipp: "Die Heiland - Wir sind Anwalt" (ARD)

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TV-Tipp: "Die Heiland - Wir sind Anwalt" (ARD)
4.9., ARD, 20.15 Uhr
Seit Jahrzehnten gehören Kommissare, Ärzte und Anwälte zum festen Fernsehpersonal. Anders als beim Krimi mit seinem immergleichen Erzählmuster – Leiche, Motiv, Alibi – werden die Hauptfiguren von Arzt- und Anwaltsserien jedoch mit ständig neuen Herausforderungen konfrontiert. Andererseits suchen auch sie nach Wahrheiten, weil ein Krankheitserreger ausfindig gemacht oder ein Klient vor der Justiz geschützt werden muss, sodass sich durchaus so etwas wie eine Krimispannung einstellen kann; und wie die Kommissare wollen auch sie eine gestörte Ordnung wiederherstellen.

Im Unterschied zu Polizisten können Fernsehärzte und -anwälte zudem tatsächlich "Freund und Helfer" agieren; wenn die TV-Ermittler ihre Arbeit aufnehmen, kommt in der Regel jede Hilfe zu spät. Darüber hinaus bieten gerade Anwaltsserien einen deutlich größeren Spielraum, weil die Hauptfiguren durchaus unkonventionell sein können. Im Frühjahr hat die ARD mit Fritz Karl als "Falk" einen recht extravaganten Juristen ins Quotenrennen geschickt, nun folgt mit Romy Heiland das exakte Gegenstück. Deutlichstes Differenzierungsmerkmal zwischen den beiden Serienfiguren ist das Sehvermögen: Die Berliner Anwältin (Lisa Martinek) hat sich mit eigener Kanzlei selbstständig gemacht. Weil sie blind ist, braucht sie jemanden, der ihr die Augen ersetzt: Akten sichten, zu Terminen begleiten, vor Hindernissen warnen etcetera; im Grunde also einen Blindenhund, der lesen und Kaffee machen kann. Weil die Serie aber auch ein Vergnügen sein soll, ist Romys neue Assistentin Ada eine typische Anna-Fischer-Rolle: kesse Berliner Göre mit vorlauter Klappe und niedriger Empörungsschwelle, weshalb sie sich gern mal zu unpassender Zeit lautstark einmischt.

Die Konstellation und der Kontrast zwischen den Figuren erinnern an den als Reihenauftakt konzipierten ARD-Samstagskrimi "Blind ermittelt" mit Philipp Hochmair als blindem Ex-Polizisten und Andreas Guenther als zugereistem Berliner und seiner rechten Hand, zumal Romy Heiland ähnlich wie der Wiener Kommissar a.D. das fehlende Augenlicht mit geschärftem Hör- und Tastsinn kompensiert. Lisa Martinek verkörpert die Figur zudem sehr behutsam. Ihre Mimik ist ähnlich dezent wie Romys Make-up; hin und wieder neigt sie leicht den Kopf, wenn die Anwältin besonders konzentriert zuhört. Dafür sind ihre Hände umso agiler, was nicht zu übersehen ist; deshalb ist es völlig überflüssig, wenn die Regie (Christoph Schnee, Bruno Grass) sie in Nahaufnahme zeigt.

Die ernste Hauptfigur ist schon mal interessant, und Anna Fischer sorgt mit Herz und Schnauze dafür, dass es in den Geschichten auch kräftig menschelt, ohne deshalb - wie ihr Pendant als Anwaltsgehilfin in der RTL-Serie "Jenny – echt gerecht" - zur Comedy-Figur zu werden. Anders als dort sind Romy und Ada, wie der Titelzusatz "Wir sind Anwalt" nahelegt, gleichberechtigte Rollen. Die Geschichten , die sich das von Jana Burbach angeführte sechsköpfige Autorenteam ausgedacht hat, fallen zwar weniger aus dem Rahmen als die beiden Frauen, sind aber zumindest interessant, zumal die Fälle gern eine unerwartete Wendung nehmen, weil Burbach und ihre Mitschreiber das Publikum mit Erfolg auf eine falsche Fährte führen. In der Auftaktfolge wird Romys früherer Juraprofessor (Peter Davor) von einer Studentin (Sinja Dieks) beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben. Tatsächlich stellt sich raus, dass die beiden eine Affäre hatten; doch die Hintergründe sind viel komplizierter. In Folge zwei liegt ein alter Mann im Koma, weil ihm eine Überdosis seines Parkinson-Medikaments verabreicht worden ist; schuld ist angeblich seine polnische Pflegerin (Liudmyla Vasylieva), die außerdem eine wertvolle Kette gestohlen haben soll. Als der alte Mann stirbt, droht ihre eine Mordanklage.

Die Fälle klingen nicht spektakulär, sind aber interessanter als die Nebenfiguren. Weil Romy Heiland sie auch ein Privatleben haben soll, gibt es durchgehende Nebenrollen wie etwa ihre Eltern (Peggy Lukac, Rüdiger Kuhlbrodt), wobei vor allem die Mutter eine typische eindimensional konzipierte Serienfigur ist, sowie Ex-Mann Ben (Peter Fieseler), dessen Kanzleipartnerin sie zudem war. Damit auch ein wenig Romantik ins Spiel kommt, funkt es zwischen Ada und Romys Nachfolger in Bens Kanzlei (Christoph Letkowski). Viel spannender ist jedoch die Titelheldin und wie sie die Welt sieht; tatsächlich hat sie noch ein Prozent Sehkraft, weshalb es zwischendurch kurze diffuse Schwarzweißeinschübe gibt. Burbach und Martinek gestehen Heiland bei aller Souveränität durchaus aus andere Seiten zu: Als Ada sie bei einer Party in Bens umgebauter Kanzlei allein lässt, ist sie für einen kurzen Moment völlig verloren und schnauzt ihre Assistentin an. Vorbild für die Anwältin ist die Berliner Strafverteidigerin Pamela Pabst, mit der Martinek viel Zeit verbracht hat. Die Juristin hat ihre Erlebnisse in einem Buch beschrieben ("Ich sehe das, was ihr nicht seht") und sagt von sich, sie habe "einen anderen Blick auf die Welt", weil sie sich nicht von den optischen Dingen ablenken lasse. Und dann gibt es noch ein sympathisches Detail am Rande: Zwanzig Jahre nach dem Ende des SFB-Klassikers "Liebling Kreuzberg" bringt der aus der Fusion von SFB und ORB hervorgegangene RBB wieder eine Anwaltsserie ins "Erste".