Berger hat zwar Kameramann Frank Küpper mitgebracht, mit dem er seit einigen Jahren regelmäßig zusammenarbeitet, aber für Kontinuität sorgt neben dem Cutter Lucas Seeberger vor allem Christoph Zirngibl, dessen Musik großen Anteil daran hat, dass auch diese Verfilmung eines Romans von Michael Robotham ein ungeheuer spannender Krimi ist. Die Betonung der Farbe blau in Bildgestaltung und Kleidung orientiert sich am derzeitigen ZDF-Stil für dieses Genre; mehrere Sequenzen mit rascher Schnittfrequenz treiben die Spannung immer wieder in die Höhe.
Die Geschichte über eine Schülerin, die in ihren Lehrer verliebt ist, erinnert von Ferne an Wolfgang Petersens "Tatort"-Klassiker "Reifezeugnis" (1977), zumal die Mädchen in beiden Fällen Sina heißen. Diesmal ist die Handlung aber deutlich komplexer. Der Auftakt ist Thriller pur: Eine junge Frau hetzt in Panik durch den Wald. Die Hauptfigur, der Hamburger Psychiater Jo Jessen (Ulrich Noethen), wird mit einem Gerichtstermin eingeführt: Ein junger Mann, der wegen der brutalen Vergewaltigung einer 16-Jährigen im Maßregelvollzug einsitzt, ist nach Ansicht seiner Therapeutin (Christina Hacke) geheilt. Jessen hat Zweifel und treibt den Mann mit seinen Fragen in die Enge; entlassen wird er trotzdem. Mit dem eigentlichen Plot hat die Anhörung scheinbar nichts zu tun, aber selbstredend taucht der unheimliche Zeitgenosse später wieder auf und sorgt dafür, dass Jessens Familie nicht bloß mit dem Schrecken davonkommt. Auch der Psychiater wird beinahe Opfer eines Mordversuchs.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Anschluss an das Gespräch holt Jessen seine Tochter Charlotte (Lilly Liefers) und ihre beste Freundin Sina (Mala Emde) von der Theater-AG ihrer Schule ab. Später nimmt der Film die Eingangssequenz wieder auf und erzeugt mit einer immer schnelleren Schnittfrequenz eine enorme Spannung, die darin mündet, dass Sina blutbeschmiert vor der Tür der Jessens steht, um jedoch gleich wieder in Panik davonzulaufen. Daheim liegt derweil ihr Vater, ein Ermittler aus dem Drogendezernat, erstochen in ihrem Zimmer. Für Kommissar Vincent Ruiz (Juergen Maurer) ist der Fall klar, erst recht, als sich rausstellt, dass der Mann offenbar jahrelang seine beiden Töchter missbraucht hat: Das Mädchen, das sich an nichts erinnern kann, hat den Kollegen mutmaßlich in Notwehr getötet. Jessen glaubt das nicht, und seine Skepsis bekommt zusätzliche Nahrung, als er Sinas Lehrer Gregor Engels (Fritz Karl) kennenlernt und rausfindet, dass die gegenseitige Zuneigung der beiden über die übliche Beziehung zwischen Lehrer und Schülerin hinausging. Außerdem hat Engels schon einmal eine derartige Liaison gepflegt. Seine damalige Frau ist irgendwann spurlos verschwunden, stattdessen ist er jetzt mit seiner früheren Schülerin (Friederike Becht) verheiratet. Obwohl Jessen den ebenso charismatischen wie manipulativen Pädagogen durchschaut, fällt er auf seine Provokationen rein.
Das mag nach üblicher Krimihandlung klingen, aber "Todeswunsch" ist weit mehr als das. Schon allein die Umsetzung durch Berger, der unter anderem die Reihe "Kommissarin Lucas" maßgeblich geprägt hat, ist auch dank des Zusammenspiels von Kamera, Schnitt und Musik bestes Thriller-Handwerk. Die darstellerischen Leistungen stehen dem in nichts nach. Gerade das Gespann Noethen/Maurer erweist sich erneut als großartige Kombination. Die Filmografien der beiden Schauspieler enthalten gleichermaßen Sympathieträger wie Schurken. In "Neben der Spur" sind sie beides: Einige Einstellungen zeigen den Seelenforscher mit einem Blick, der Wasser gefrieren lassen könnte. Maurer wiederum verkörpert den Kommissar als einen Mann mit viel Melancholie, der sich hinter humorlosem Sarkasmus verschanzt. Eigentlich müssten Jessen und Ruiz Freunde sein, immerhin haben sie sich in den ersten beiden Filmen gegenseitig das Leben gerettet, doch sie wissen die gegenseitige Zuneigung gut zu verbergen; gerade dem Kommissar sind Taten ohnehin wichtiger als Worte. Trotzdem mutet es nach wie vor seltsam an, wie wenig auch Klaschka aus der Kombination dieser beiden denkbar konträren Charaktere macht; vielleicht wollen Sender und Produktionstochter vermeiden, dass sie ähnlich kumpelhafte Züge annehmen wie so manches altgedientes "Tatort"-Duo.
Schauspielerisch allerdings sind Noethen und Maurer ein Genuss. Nicht minder famos ist Mala Emde, die sich seit ihrer Titelrolle in dem Dokudrama "Meine Tochter Anne Frank" (2015) mehr und mehr zum kommenden Star entwickelt, was sie auch zuletzt in einem "Tatort" aus Kiel ("Tatort: Borowski und das verlorene Mädchen") nachdrücklich bestätigt hat. Wenn "Todeswunsch" eine Schwäche hat, ist es die Figur von Jessens Tochter. Lilly Liefers, Tochter von Jan Josef Liefers und Anna Loos, war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten gerade mal zwölf, und so sieht sie auch aus, weshalb die offenbar innige Freundschaft zwischen der kindlichen Charlotte und der erwachsen wirkenden 16jährigen Sina (Emde ist mittlerweile zwanzig) nicht sehr glaubwürdig ist. Außerdem klingen ihre Dialoge aufgesagt, und das gilt nicht nur für die Zeilen, die sie aus "Romeo und Julia" deklamiert. Das fällt aber kaum ins Gewicht. Viel entscheidender ist, dass Engels nun, da Sina für ihn unerreichbar ist, eine Nachfolgerin sucht; und das nicht nur für die Rolle der Julia. Da sich Ruiz zudem bemüht, wieder einen besseren Draht zu seiner Tochter Nina zu bekommen, gibt es noch eine dritte Vater/Tocher-Ebene. Annika Schrumpf hat bereits in einigen ZDF-Filmen gezeigt, was sie kann ("Katie Fforde: Mein Wunschkind", "Tod eines Mädchens") und hinterlässt in ihren wenigen Szenen so viel Eindruck, dass Ruiz schon allein deshalb unbedingt mehr Zeit mit Nina verbringen sollte.