Für die einzige Abwechslung sorgen Zwischenspiele in Superzeitlupe, die eine märchenhaft wirkende Szenerie zeigen. Diese Kapiteltrenner wirken fast wie Standbilder. Bewegung entsteht allein durch fröhlich in die Luft geworfenes Laub, flirrendes Goldkonfetti oder spritzenden Champagner. Entsprechend heiter ist die Stimmung, die diese Bilder vermitteln; mit zunehmender Dauer wird sie jedoch immer düsterer, und am Ende ist die Partylaune völlig verflogen. Interessant ist auch die rockige Musik von Philipp Noll und Axel Huber, mit der Spaeth diese Bilder unterlegt. Sie verleiht den Intermezzi eine ganz eigene Atmosphäre, die auch den Rest des Films beeinflusst.
Die Einschübe entsprechen somit perfekt der Erzählung, die Spaeth erst nach und nach preisgibt. Zu Beginn ist völlig offen, worauf die ganze Sache hinausläuft. Klar ist zunächst nur: Bei den Paaren handelt es sich um Eltern, deren Nachwuchs einen privaten Kindergarten besucht. Der Mann, der allein auf dem Sofa sitzt, heißt Basti und ist die Hauptfigur des Films. Die anderen stammen ausnahmslos aus der gehobenen Münchener Mittelschicht: Architekten, Anwälte, Künstler. Basti lebte in einer anderen Welt, aber auch er wollte sein Kind in diesem offenbar vorbildlich geführten Schwabinger Kinderhaus unterbringen. Also dachte er sich eine fiktive Biografie aus, erfand ein BWL-Studium, verschwieg seine Herkunft aus Halle an der Saale und machte sich zum Besitzer einer Event-Agentur. Weil er außerdem sympathisch auftrat und sein Sohn offenbar eine Behinderung hat, bekam er den Platz. Das war jedoch nur der erste Schritt. Basti, damals arbeitslos, engagierte sich für den Kindergarten, war stets zur Stelle, wenn Hilfe benötigt wurde, machte sich unentbehrlich, rückte in den Vorstand auf und verwaltete fortan das Vermögen der überraschend gut betuchten Einrichtung: eine Viertelmillion Euro. Weil er Geldsorgen hatte, zweigte er zunächst kleinere Summen ab, aber dann lebte er auf immer größerem Fuß; und schließlich war das Geld weg.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Als Reportage wären diese Ereignisse vermutlich rasch erzählt. Im Grunde ließen sie sich auf eine Meldung reduzieren, aber Spaeth sind knapp neunzig fesselnde Minuten gelungen. Dank einer klugen Konzeption entwickelt sich nach und nach eine typische Felix-Krull-Geschichte. Die Spannung resultiert nicht zuletzt aus der ständigen Konfrontation der unterschiedlichen Perspektiven. Auf diese Weise entsteht ein reizvoller Gegensatz: Die Eltern erzählen, wie sie Basti erlebt haben, und der ergänzt, wie es wirklich war. Interessant sind dabei nicht zuletzt die unterschiedlichen Haltungen der Betrogenen: Die einen sind zutiefst empört, die anderen können eine gewisse Bewunderung für Bastis Chuzpe nicht verhehlen. Spaeth selbst bleibt völlig außen vor. Der Film kommt ohne Kommentar aus, zu sehen und zu hören sind ausschließlich Basti und die Eltern.
Der tiefere Reiz von "Betrug" liegt nicht zuletzt in der Antwort auf eine Frage, die sich nicht nur die Betroffenen in solchen Fällen stellen: Wie kann es einem Menschen gelingen, über einen derart langen Zeitraum regelmäßig Geld zu unterschlagen, ohne dass dies irgendwem ausfällt? Tatsächlich hat es zwischendurch wohl durchaus Irritationen gegeben, aber Basti scheint ein ausgesprochen begabter Manipulator zu sein. Sein hingebungsvolles Engagement für den Kindergarten sowie eine Affäre mit der Vorstandsvorsitzenden werden ebenfalls dazu beigetragen haben, dass den Verdachtsmomenten nicht weiter nachgegangen ist. Der Betrüger macht keinen Hehl daraus, dass ihm das Herz in die Hose gerutscht sei, als er dank entsprechender Bankkarte auf Kosten des Kindergartens großkotzig mit einem Ferrari vorgefahren sei und eine Frau im Scherze gemeint habe, so verprasse er also das Geld des Kinderhauses. Er selbst ist übrigens überzeugt, dass er nicht auf sich reingefallen wäre, wie er am Ende des Prologs verrät: "Einen Betrüger kannst Du nicht betrügen." Der Film beginnt im Gerichtsgebäude und nimmt auf diese Weise vorweg, dass das Kartenhaus aus immer neuen Lügen trotzdem irgendwann zusammengebrochen ist.