Natürlich ist das Vertragswerk als solches unverfilmbar, zumal die umstrittenen Passagen in einer politischen Talkshow besser aufgehoben sind. Daran krankt auch Florian Oellers Drehbuch, weil die handelnden Personen mehrfach die entsprechenden Positionen referieren müssen. Der erzählerische Ansatz hingegen ist auf Anhieb fesselnd: Das Berliner Nachrichtenmagazin Der Puls bekommt das Angebot, sich in einem Brüsseler Hotel mit einem "Whistleblower" zu treffen, einem Juristen, der im Auftrag eines multinationalen Konzerns maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des Vertragswerks hatte und bereit ist, brisante Details zu verraten. Puls-Chefredakteurin Berger (Anke Engelke) schickt ihre beste Journalistin, Rommy Kirchhoff (Nina Kunzendorf), zu dem Termin, den der Vertreter einer Anti-TTIP-Organisation eingefädelt hat. Mitten im Interview wird Rommy unter einem Vorwand aus dem Raum gelockt. Als sie zurückkehrt, sind die Männer verschwunden; sie wird aus dem Verkehr gezogen und erwacht Stunden später auf einer Parkbank. Der USB-Stick, auf dem der Insider, Paul Holthaus (Oliver Masucci), sämtliche Daten gespeichert hatte, ist natürlich weg. Bei der Polizei hat sie ohne Indizien einen schweren Stand, und auch der Sohn des Juristen glaubt ihr erst, als sie ihm einen Manschettenknopf von Holthaus zeigen kann, den sie im Hotelzimmer gefunden hat. Der junge Mann weiß auch nicht, wo sein Vater steckt, dabei bräuchte er ihn jetzt mehr denn je: Gerade ist seine Mutter an Krebs gestorben. Ihre Recherchen führen die Journalistin schließlich zu dem Konzern, für den der Jurist gearbeitet hat: Norgreen Life dominiert den weltweiten Handel mit gentechnisch verändertem Saatgut und dem passenden Pflanzenschutzmittel, das im Verdacht steht, Krebs zu erregen; tatsächlich war es die Erkrankung seiner Frau, die den "Whistleblower" bewogen hat, die Seiten zu wechseln. Rommy rechnet mit dem Schlimmsten, erst recht, als der Aktivist, der das Treffen mit Holthaus arrangiert, tot aufgefunden wird.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Geschichte erfüllt alle Voraussetzungen für einen erstklassigen Wirtschafts-Thriller, zumal schon allein die drei Hauptdarstellerinnen sehenswert sind. Dritte im Bunde neben Kunzendorf und Engelke ist Katja Riemann in der schillerndsten Rolle des Films: Sie spielt Lilian Norgren, die charismatische Tochter des Konzerngründers und heutige Geschäftsführerin. Dank Riemann bleibt lange offen, ob die Frau wirklich über Leichen gehen würde. Immerhin erteilt sie ihrer Tochter (Paula Beer) gleich zu Beginn beim Fechten eine Lektion, die wie ihre Geschäftsdevise klingt: "Wer täuschen kann, gewinnt."
Zwischendurch verliert sich Oeller allerdings in einigen Nebenschauplätzen. Dass Der Puls mit einem Rückgang der Auflage zu kämpfen hat und die Chefredakteurin Karin Berger die journalistischen Werte gegen den Verlagsvertreter (Hary Prinz) verteidigt, passt noch ins Bild, weil die beiden Frauen für eine Vierte Gewalt stehen, die mutig allen Widrigkeiten trotzt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Eher überflüssig ist dagegen, dass Karin und Rommy eine Beziehung hatten. Das nachgereichte Eheleben von Holthaus bekommt ebenfalls unangemessen viel Platz, zumal der Umgang mit den entsprechenden Rückblenden etwas unglücklich ist (Regie: Sherry Hormann); sie sind ohnehin nur dank typischer Hinweise ("zehn Jahre früher") überhaupt als solche zu erkennen, weil die Figuren keine Spur jünger aussehen. Immerhin wird auf diese Weise vermittelt, wie clever der Jurist die Schlupflöcher ins TTIP-Vertragswerk geschmuggelt hat, damit Norgreen Life später deutsche Gesetze umgehen kann. Außerdem stellt sich raus, dass er ein Verhältnis mit der Konzernchefin hat; und Rommy muss schließlich feststellen, dass sie bloß eine Figur in einem abgekarteten Spiel ist.
Dass "Tödliche Geheimnisse" doch nicht der ganz große Wurf geworden ist, liegt ausdrücklich nicht an den vorzüglichen Schauspielern. Leonard Scheicher als Holthaus’ Sohn Max und Paula Beer als Norgrens Tochter Tessa halten sich ausgezeichnet neben den prominenten Kolleginnen, und auch Oliver Masucci ist als Whistleblower sehenswert. Gerade die Rückblenden unterbrechen den Rhythmus des Films jedoch immer wieder. Trotzdem ist es Oeller ("Tatort: Zorn Gottes") auf eindrucksvolle Weise gelungen, das Unbehagen vieler Menschen gegenüber dem Transatlantischen Freihandelsabkommen in eine fesselnde Handlung umzumünzen. Der ARD-Tochter Degeto ist es hoch anzurechnen, einen derart gegenwartsbezogenen Film in Auftrag gegeben zu haben; die Überlänge von 105 Minuten ist völlig angemessen. Angesichts der häufigen Schauplatzwechsel ist kaum zu glauben, dass "Tödliche Geheimnisse" innerhalb von nur 25 Drehtagen entstanden ist. Die Fortsetzung, "Jagd in Kapstadt", zeigt die ARD am Mittwoch.