TV-Tipp: "Reggae Boyz" (Arte)

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TV-Tipp: "Reggae Boyz" (Arte)
8.6., Arte, 21.55 Uhr
Es war ein Sommermärchen, aber es hatte kein Happy End: 2013 wandte sich der Fußballverband von Jamaika in seiner Not an Winfried Schäfer. Der Mann, der in den Neunzigern den Karlsruher SC aus der zweiten Liga in den Uefa-Cup geführt hatte, sollte mit den Kickern der Karibikinsel 2013 ein ähnliches Wunder vollbringen wie einst mit dem KSC, als sein Team den FC Valencia sensationell mit 7:0 aus dem Wettbewerb geworfen hatte; oder wie mit Kamerun, als Schäfer die angeblich unbezähmbaren Löwen 2002 zum Afrikameister gemacht und im gleichen Jahr zur WM nach Japan/Südkorea geführt hatte.

Till Schauder hat die "Reggae Boyz" und ihren deutschen Trainer bei den Qualifikationsspielen für die WM 2014 in Brasilien begleitet. Schäfer machte aus der Truppe, deren Spieler als "Legionäre" über die ganze Welt verstreut waren, einen verschworenen Haufen, der wie um sein Leben spielte; am Ende scheiterte das Team an den von Jürgen Klinsmann trainierten Amerikanern.

Aber es wäre nur die halbe Wahrheit, würde man den Film auf den Fußball reduzieren. Der Sport steht zwar im Mittelpunkt, weil die fußballverrückten Jamaikaner offenbar eine große Sehnsucht danach haben, das Wunder von 1998 zu wiederholen, als die "Reggae Boyz" zur WM nach Frankreich fahren durften, aber natürlich dokumentiert Schauder auch das Lebensgefühl der Menschen, weshalb Musik in dem Film eine mindestens ebenso große Rolle spielt wie der Fußball. Bob Marley, selbst ein begeisterter Kicker, scheint auf der Insel allgegenwärtig, zumal Bunny Wailer, Mitbegründer der nach ihm benannten Band Marleys, eine der Hauptfiguren ist, schamanische Weisheiten von sich gibt und dem neuen Trainer singend den Geist des Rastafari und die Vorzüge von Gras vermitteln will. Noch mehr Musik gibt es von den "No-Maddz", die die Handlung des Films mit ihren Songs kommentieren. Im Zentrum steht aber "Winnie" Schäfer, der mit seiner aus der Zeit gefallenen weißblonden Frisur, seinem lustigen Englisch ("What is ‚eggs’ in english?!") und dem Wohlstandsbauch wie ein Tourist wirkt, der sich erbarmt hat, einer einheimischen Thekentruppe ein bisschen deutsche Disziplin beizubringen. Und dann ist da noch Tuffy Anderson, ein junger Mann aus dem Ghetto, der als Amateur auf der Insel spielt und davon träumt, Jamaika zur WM zu schießen; der bisherige Trainer hat sein Talent allerdings ignoriert. Weil Schäfer nicht nur viel von Fußball versteht, sondern auch ein Menschenfänger ist, wird ihm rasch klar, dass Anderson eine ganz wesentliche Rolle beim Rückhalt des Teams in der Bevölkerung spielen könnte. Tatsächlich scheint ein ganzes Volk dem Moment entgegen zu fiebern, als Tuffy endlich eingewechselt wird, und dass er dann auch noch das Tor zum wichtigen Ausgleich erzielt, ist eines dieser Märchen, die die Faszination des Fußballs ausmachen.

Zum ganz großen Happy End hat es dann zwar doch nicht gereicht, aber Schäfer hat mit den "Reggae Boyzs" noch einige Triumphe feiern dürfen; davon erzählt der Film jedoch nur im Abspann. Ohnehin ist die sechzigminütige Fassung, die Arte ausstrahlt, deutlich kürzer als die ursprüngliche Version. Das ist außerordentlich bedauerlich, weil es Schauder (Buch, Regie, Produktion, Kamera), der schon seinen überraschend kurzweiligen Dokumentarfilm "Der Iran Job" über einen amerikanischen Basketball-Profi im Iran quasi im Alleingang realisiert hat, vortrefflich gelingt, das jamaikanische Lebensgefühl einzufangen. Sein Film ist daher gleich eine mehrfache Hommage: an den Fußball, an den Reggae, an den unerschütterlichen Glauben, dass Wunder möglich sind; und an Winfried Schäfer, damals 63, durch dessen staunende Augen der Zuschauer im in jeder Hinsicht weit entfernten Deutschland die zwar sympathischen, mitunter aber auch seltsam anmutenden Sitten und Gebräuche der Insel kennenlernt. Dass allerdings nicht einmal ein Nischensender wie Arte es für nötig hält, diesen ohnehin erst in der sogenannten zweiten Primetime ausgestrahlten Film in voller Länge zu zeigen, sagt eine Menge über die stiefmütterliche Behandlung des Genres Dokumentarfilm im deutschen Fernsehen.