TV-Tipp: "Unter anderen Umständen: Tod eines Stalkers" (ZDF)

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TV-Tipp: "Unter anderen Umständen: Tod eines Stalkers" (ZDF)
4.6., ZDF, 20.15 Uhr
Seit zwölf Jahren arbeitet Judith Kennel fast ausnahmslos für "Unter anderen Umständen". Während bei anderen Regisseuren und anderen Reihen nach einer derart langen Zeit längst gewisse Abnutzungserscheinungen zu erkennen wären, sind die Krimis mit Natalia Wörner als Schleswiger Kriminalhauptkommissarin und alleinerziehende Mutter Jana Winter immer wieder sehenswert. Auch die zwölfte Episode, "Tod eines Stalkers" (eine Wiederholung aus dem Jahr 2016), lässt keinerlei Schwächen erkennen, basiert allerdings auch auf einem brillanten Drehbuch.

Das Autorenduo Sören Hüper und Christian Prettin hat schon zuletzt mit dem zweiten Teil von "Solo für Weiss" ("Die Wahrheit hat viele Gesichter") eine bemerkenswerte Geschichte geschrieben. Für "Unter anderen Umständen" haben die beiden bereits vor vier Jahren gearbeitet; die Handlung von "Spiel mit dem Feuer" (2012) war so komplex wie sonst nur Romanverfilmungen. Beim neuen Film haben sich Hüper und Prettin selbst übertroffen. "Tod eines Stalkers" ist schon deshalb faszinierend, weil Jana Winter die Kontrolle verliert; erst über sich selbst und dann über die Ereignisse. Hilflos muss sie schließlich erkennen, dass sie das Opfer eines perfiden Plans geworden ist.

Die Handlung beginnt mit einem Attentat: Ein Unternehmer (Eckhard Preuß) wird von einem Heckenschützen schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt. Gleichzeitig stellt Winter einen Mann (Jan Georg Schütte) zur Rede, der sie und ihren Sohn Leo auf dem Weg zur Schule verfolgt: Schrotthändler Ricky Rehberg beschuldigt sie, seine Frau und seine Tochter auf dem Gewissen zu haben, und kündigt an, er werde an Leo Rache nehmen. Als sie kurz drauf mitten in der Nacht einen Anruf bekommt, bei dem im Hintergrund Leos Hilferufe zu hören sind, muss sie annehmen, dass der Junge von Rehberg entführt worden ist. Sie rast zum Schrottplatz, wo sie zwar nicht ihren Sohn, aber den erschossenen Rehberg findet. Weil Leo derweil wohlbehalten daheim in seinem Bett liegt, hat die Polizistin nun ein Problem. Eine Vielzahl von Indizien lässt nur einen Schluss zu: Sie hat Rehberg regelrecht hingerichtet; die Hülse, die neben der Leiche gefunden wird, stammt aus ihrer Waffe. Als sich dann noch rausstellt, wer die internen Ermittlungen leiten wird, lässt Winter alle Hoffnungen fahren: Kriminaldirektor Voss (Johannes Zeiler) hat einst seinen Job als Dozent an der Polizeihochschule verloren, weil sie ihn wegen sexueller Belästigung angezeigt hat. Voss versichert zwar, er sei weder befangen noch nachtragend, sorgt aber dafür, dass die Kommissarin in Untersuchungshaft gesteckt wird, wo sie als Polizistin prompt Ärger mit anderen Gefangenen bekommt. Sie ahnt zwar, dass Rehberg bloß eine Marionette war und irgendjemand ein geniales Komplott gegen sie eingefädelt hat, ist hinter Gittern aber natürlich machtlos, bis sie unerwartete Hilfe bekommt: Ausgerechnet ein von ihr selbst eingebuchteter charismatischer Berufsverbrecher (Felix von Manteuffel) sorgt dafür, dass sie fliehen kann; und nun wird auch klar, welchen Bezug das Attentat vom Anfang zu Jana Winter hat. Als Voss kurz drauf erschlagen wird, soll ihr noch ein weiterer Mord angehängt werden, aber endlich hat sie eine Spur gefunden, die weit zurück in die Vergangenheit führt.

Die handlungsreiche Geschichte ist großartig und von Kennel mit einer imposanten Dichte umgesetzt worden. Die Musik von Jean-Paul Wall sorgt dafür, dass der Thriller auch in den wenigen Ruhephasen fesselnd bleibt, aber da ständig was passiert, gibt es ohnehin praktisch keinerlei Entspannung. Endgültig herausragend und fast zu gut für einen Reihenkrimi wird "Tod eines Stalkers" durch die Idee, den Bogen zu Winters Premierenfall zu schlagen, als sie, selbst hochschwanger, den Mord an einem Säugling aufklären musste. Geschickt sorgt der Film schon zu Beginn für einen Rückblick, als Jana mit Leo über dessen vor einigen Jahren verstorbenen Vater spricht. Auf diese Weise darf Matthias Brandt zumindest in zwei kurzen Rückblenden noch mal auftauchen. Stefanie Stappenbeck wirkt in einem kurzen Gastauftritt gegen Ende sogar selbst mit; sie hatte im ersten Film die Täterin gespielt und bringt die Kommissarin nun auf die richtige Spur. Nicht nur die Kindsmörderin ist eine in jeder Hinsicht überraschende Figur; der gesamte Film bezieht seinen Reiz nicht zuletzt aus der mehrfach verblüffenden Erkenntnis, dass sich vermeintliche Feinde als Freunde entpuppen und die Gegenspieler aus den eigenen Reihen stammen. Darüber hinaus haben Hüper und Prettin dafür gesorgt, dass auch Winters Kollegen Brauner und Hamm (Martin Brambach, Ralph Herforth) nicht bloß Stichwortgeber sind. Eine reizvolle Rolle spielt auch Johannes Zirner als rechte Hand des internen Ermittlers, der den wegen allzu unbotmäßiger Solidarität suspendierten Hamm auf dem Laufenden hält. Für die außerordentliche Qualität des Drehbuchs spricht schließlich die Tatsache, dass trotz aller Komplexität am Ende alle losen Enden miteinander verknüpft sind; außerdem sorgen die Autoren zum Finale noch mal für einen kleinen Knüller.