Wie lassen sich bis heute noch genügend Gastfamilien finden?
Lars-Torsten Nolte: Das wird schwieriger. Nach mehr als 30 Jahren rückt die Katastrophe weiter aus dem Bewusstsein der Menschen. Zudem haben sich die Familienstrukturen verändert. Wenn beide Eltern berufstätig sind, ist es nicht immer leicht, noch vier Wochen lang ein Kind als Gast aufzunehmen. Die Kinder sind aber auch bleibende Botschafter. Ihr Besuch erinnert an die Katastrophe und ihre Folgen. Sie bringen zugleich viel Spaß und Freude mit. Wir haben rund 250 Gastfamilien in Niedersachsen. Dass nach so langer Zeit noch so viele bereit sind, die Kinder aufzunehmen, ist schon etwas Besonderes.
Was motiviert die Menschen dazu?
Nolte: Besonders in manchen ländlichen Regionen gibt es eine Verortung. Die Ferienaktion ist dort fester Bestandteil des Gemeindelebens geworden. Viele machen mit, von den Anglern bis zur Freiwilligen Feuerwehr, die Freizeitaktivitäten organisieren. Ein Schuhgeschäft lädt ein und spendiert den Kindern ein paar Schuhe. Die Menschen sehen, die Hilfe kommt an der richtigen Stelle an. Anfangs spielte auch der Versöhnungsgedanke eine Rolle. Nach den verheerenden Auswirkungen der deutschen Besetzung Weißrusslands im Zweiten Weltkrieg wollten Menschen ein Zeichen setzen. Vor allem bei denjenigen, die zum Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe selbst kleine Kinder hatten, sind zudem die Bilder und Ängste von damals noch im Kopf.
Die Kinder, die heute kommen, waren damals noch gar nicht geboren. Warum ist für sie ein Ferienaufenthalt wichtig?
Nolte: Sie nehmen über die Nahrungskette noch radioaktive Substanzen wie etwa Cäsium 137 zu sich. Zudem kommt es durch genetische Veränderungen zu Krankheiten. Nicht nur die Eltern, sondern auch die Kinder werden so geschädigt. Zu beobachten ist, dass sich zum Beispiel die Zahl der Schilddrüsenerkrankungen wieder erhöht. Der Aufenthalt in gesunder Umwelt und gute Ernährung können die radioaktive Belastung der Kinder bis um die Hälfte reduzieren.