Zwölf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und mitten im Wirtschaftswunder hatte die immer noch junge Bundesrepublik die Zeit des Nationalsozialismus weit hinter sich gelassen; die Menschen wollen nicht mehr an Schrecken des Nazi-Regimes erinnert werden. Dass sich der Rechtsstaat mit der Aufklärung der Verbrechen oder der Suche nach im Ausland untergetauchten NS-Größen schwer tat, hatte allerdings andere Gründe: Bundeskriminalamt und Bundesnachrichtendienst waren durchsetzt mit Männern, die schon im "Dritten Reich" zum Führungspersonal gehört hatten. Entsprechend mühsam war die Arbeit, die sich der Sozialdemokrat Fritz Bauer als hessischer Generalstaatsanwalt zur Lebensaufgabe gemacht hat: gegen alle Widerstände aus den eigenen Reihen Nazi-Verbrecher vor Gericht stellen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Der Staat gegen Fritz Bauer" hat Lars Kraume sein ebenso fesselndes wie komplexes Porträt dieses unbeugsamen Mannes genannt; auch wenn natürlich nicht Bauer der Feind des Staates ist, selbst wenn er schließlich eine Anklage wegen Hochverrats riskiert. Beinahe täglich bekommt er Morddrohungen. Oft enthalten die Briefe nur zwei Wörter: "Jude verrecke!". Trotzdem hat der mehrfache Grimme-Preisträger Kraume ("Guten Morgen, Herr Grothe") keine distanzlose Hommage gedreht. Das liegt nicht zuletzt an der Verkörperung des vom Leben zwar gebeugten, aber nie gebrochenen Demokraten durch Burghart Klaußner, der hinter der schwäbelnden Bärbeißigkeit dieser korpulenten Figur fast verschwindet; zum Teil sogar buchstäblich, weil man den permanent paffenden Generalstaatsanwalt mitunter vor lauter Zigarrenqualm kaum noch erkennen kann.
Kraume konzentriert sich auf die Zeit, als Bauer, der in den Sechzigern die Auschwitz-Prozesse initiierte, Adolf Eichmann jagte. Als ihm zugetragen wird, dass sich Eichmann in Buenos Aires aufhält, will er den Organisator der deutschen Judenverfolgung mit Hilfe von Interpol vor ein deutsches Gericht stellen, aber das BKA sabotiert seine Bemühungen nach Kräften. Schließlich bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich an den israelischen Geheimdienst zu wenden; diesen Teil der Geschichte hat Raymond Ley vor fünf Jahren in seinem ausgezeichneten TV-Dokudrama "Eichmanns Ende" erzählt.
Um sich nicht ausschließlich auf Bauer konzentrieren zu müssen, bringt Kraume einen fiktiven Staatsanwalt ins Spiel. Dramaturgisch ganz ähnlich funktionierte im letzten Jahr das Drama "Im Labyrinth des Schweigens"; dort war Bauer aber nur eine Nebenfigur. In Kraumes Film ist Karl Angermann (Ronald Zehrfeld) der einzige Mitarbeiter, dem der Generalstaatsanwalt rückhaltlos vertrauen kann. Die gegenseitige Wertschätzung basiert auf einer Seelenverwandtschaft, die weit über den Beruf hinausgeht. Geschickt führt Kraume den jüngeren Kollegen als unzweifelhaften Sympathieträger ein: In einer Zeit, in der die Berechtigung des berüchtigten Strafgesetzbuch-Paragrafen 175 außer Frage stand, fordert der Staatsanwalt als Bestrafung für einen jungen Homosexuellen eine Zahlung von fünf Mark. Ob er sich der eigenen sexuellen Neigung zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon bewusst ist, lässt der Film offen. Später ist sie allerdings ein gefundenes Fressen für Bauers Feinde, die nun auch Angermanns Feinde sind; Jörg Schüttauf darf als BKA-Beamter wieder mal beweisen, was er für ein vorzüglicher Drecksackdarsteller ist.
Ohnehin ist der Film treffend und auch in den Gastrollen namhaft besetzt. Besonders liebevoll wirkt die wichtige, schließlich besteht das fast kammerspielartig umgesetzte Drama überwiegend aus Innenaufnahmen. Hörenswert auch ohne Filmbilder ist die jazzige Musik von Julian Maas und Christoph M. Kaiser (erschienen bei Colosseum). Über allem aber steht Klaußner, der hier vielleicht eine seiner größten Rollen spielt. Beim Deutschen Filmpreis 2016 ist "Der Staat gegen Fritz Bauer" als bester Film ausgezeichnet worden. Weitere Preise gab es in den Kategorien Regie, Nebendarsteller (Ronald Zehrfeld), Drehbuch, Szenenbild und Kostümbild.