Kehrt nun Frieden ein in Malaysia?

Die Christ Church, erbaut im Jahr 1753 in der Stadt Melaka, die Unesco-Weltkulturerbe ist.
Foto: Tuul & Bruno Morandi/laif
Die Christ Church in der Stadt Melaka, erbaut im Jahr 1753. Melaka ist UNesco-Weltkulturerbe.
Kehrt nun Frieden ein in Malaysia?
Die Malaysier haben weise gewählt – Christen freuen sich auf eine Renaissance von Toleranz und Respekt.

"Wir schließen uns unseren malaysischen Landsleuten an, die Gott für die neue Zeit danken, die über unserer Nation aufgeht. Wir unternehmen einen Neuanfang mit der Erneuerung unserer Entschlossenheit, unsere Nation auf den Prinzipien von Gerechtigkeit, Frieden und Harmonie zwischen allen Rassen und Religionen wieder aufzubauen." Mit dieser Erklärung gratuliert der protestantische Dachverband "Council of Churches of Malaysia" (CCM) einen Tag nach der Begnadigung und Haftentlassung von Oppositionsführer Anwar Ibrahim der Koalition Pakatan Harapan (PH) zu ihrem Wahlsieg bei der Parlamentswahl acht Tage zuvor am 9. Mai.

Zum ersten Mal in den 61 Jahren seit der Unabhängigkeit erlebt Malaysia einen Machtwechsel. Und das, obwohl die alte Regierung unter Premierminister Najib Razak von Manipulation des Zuschnitts der Wahlkreise über massive Zensur, Unterdrückung der Opposition bis hin zur Einschüchterung der Wähler und Diffamierung von Christen alles für den Machterhalt getan hat.

Ex-Premierminister Najib ist in den massivsten Korruptionsskandal der Geschichte Malaysias verwickelt. Milliarden sind aus dem von Najib aufgelegten staatlichen Investitionsfonds "1MDB" verschwunden. 700 Millionen US-Dollar daraus tauchten nachweislich auf einem Privatkonto von Najib wieder auf. Jeder, der von Najib Rechenschaft über "1MDB" forderte, wurde kaltgestellt. Minister wurden entlassen, Kritiker aus den Reihen von Najibs malaiisch-nationalistisch-islamischer Partei UMNO mit Parteiausschlussverfahren überzogen, Oppositionelle wegen Volksverhetzung angeklagt. Die UMNO-Elite mit Najib an der Spitze hatte völlig den "moralischen Kompass" verloren, schreibt die Malaysiaexpertin Bridget Welsh am 14. Mai in Malaysiakini in ihrer "Hoffnung und Heilung" überschriebenen Analyse der Wahl.

Najib Razak, bisheriger Premierminister von Malaysia

Das Gefühl des moralischen Niedergangs war offenbar in der malaysischen Gesellschaft weit verbreitet. Nie zuvor hatten gar Institutionen wie die Polizei, die Marine und Berufsverbände kaum verklausuliert zur Abwahl der Regierung aufgerufen. Auch die Kirchen haben keinen Hehl daraus gemacht, auf welche Parteien sie ihre Hoffnungen setzen. In der Erklärung "Wählt weise für ein besseres Malaysia" rief der CCM zum Gebet "für freie und faire Wahlen" auf.

Najib und die UMNO stilisierten sich als Bewahrer und Beschützer des Islam als der Religion der Mehrheitsethnie der Malaien. Ihr Mantra: Wer gegen uns ist, der ist gegen die Malaien und damit gegen den Islam. Gleichzeitig wurden Christen und Chinesen als Buhmänner aufgebaut. Erstere als Verschwörer gegen den Islam, letztere als Ausbeuter der Malaien. Diese Propaganda verfing lange unter den ländlichen Malaien als verlässliche Wählerbastion der UMNO, während das urbane Malaysia die Hochburg der Opposition war.

Schock für die Regierenden

Um so größer dann der Schock für die Regierenden am 9. Mai, als auch die Landbevölkerung in Scharen zur Opposition übergelaufen war. Die Mehrheit der Malaysier aller Rassen und Religionen hatte die Nase gestrichen voll von der hemmungslos zur Schau gestellten Bereicherung und dem Luxusleben der Clique um Najib, während sie unter steigenden Lebenshaltungskosten stöhnten.

Die Wende in Malaysia sei durch die enge Zusammenarbeit von politischer Opposition und Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich der Kirchen, möglich geworden, sagt Reverend Hermen Shastri acht Tage nach der Wahl gegenüber evangelisch.de. "Wir waren die einzigen, die Themen wie Religionsfreiheit und den wachsenden Einfluss des Islam auf die nationale Politik angesprochen haben", betont der Generalsekretär des CCM. "Jetzt werden die Sorgen, die wir thematisiert haben, Grundlage der offiziellen Politik."

Anwar Ibrahim, früherer Vize-Ministerpräsident

Die entscheidende Wende in Malaysias Politik aber kam, als sich der ehemalige Premierminister und ehemalige UMNO-Vorsitzende Mohamed Mahathir, 92, offen gegen Najib stellte, sich mit seinem wegen angeblicher Homosexualität von Najib ins Gefängnis gesteckten ehemaligen Intimfeind Anwar Ibrahim verbündete und als Spitzenkandidat der Opposition in den Wahlkampf zog.

Die Freilassung Anwars acht Tage nach der Wahl war gleichermaßen das Signal für den neuen, demokratischen Aufbruch Malaysias wie auch ein absurdes Polittheater. Bei der Vorfahrt am Königspalast zur Entgegennahme seiner offiziellen Begnadigung wurde Anwar von seinem vom Mentor zum Erzfeind und wieder zum besten Freund mutierten, frisch bestallten Premierminister Mahathir empfangen. In seiner ersten Runde als Premierminister Ende der 1990er Jahre hatte Mahathir seinen damaligen Stellvertreter Anwar als Galionsfigur der Reformasi-Bewegung erst aus der Regierung geworfen und dann in den Knast gebracht - ebenfalls wegen angeblicher Homosexualität.

Reverend Hermen Shastri

Malaysia ist ein multireligiöses und multiethnisches Land. "Das war schon immer unsere Realität und hat auch in der Politik eine Rolle gespielt", sagt Reverend Shastri. "Die abgewählte Regierung hat aber verstärkt die rassistisch-religiöse Karte gespielt und die Gesellschaft polarisiert." Für die Politologin Welsh besteht jetzt die beste Chance, wieder "gegenseitigen Respekt zwischen den gesellschaftlichen Gruppen aufzubauen". Welsh weiß aber auch, dass das eine Herkulesaufgabe sein wird. "Von dem 'wir' und 'die' wegzukommen wird nicht einfach. Der Versuch, Vertrauen, Toleranz und Respekt zu erreichen, ist um so schwieriger, wenn diese Praktiken erodiert wurden."

Das ist auch Reverend Shastri bewusst. Die Kirchen, so Shastri, seien guter Hoffnung, dass das Misstrauen zwischen den Religionen aufgebrochen wird. Dabei sei aber von allen Sensibilität gefordert. "Die Religionen müssen ihren Platz kennen. Sie dürfen ihre Religion nicht anderen aufzwingen".

Neubewertung des Allah-Verbots

Die islamistische Partei PAS ist der zweite Wahlsieger. Mit achtzehn Sitzen im Parlament ist sie stärker als zuvor. Zudem hat sie ihre Regierungsmacht im Bundesstaat Kelantan verteidigt und mit Terengganu einen zweiten Bundesstaat gewonnen. Nach ihrem schlechten Abschneiden bei der Wahl 2013 übernahmen die Hardliner die Macht. Die Moderaten verließen die PAS und gründeten die moderat-muslimische Amanah, die Teil der neuen Regierungskoalition ist. Die PAS hingegen verbündete sich mit der UMNO von Najib und deren islamistischen Satellitenorganisationen wie Perkasa. Letztere waren zuständig fürs Grobe, für Hetze, Hasspredigten und Gewaltaktionen gegen Christen. Perkasa war vor allem aber die treibende Kraft bei dem Allah-Verbot für Christen. Nach über vierhundertjähriger Praxis ist es Malaysias Christen jetzt gerichtlich verboten, in ihren Schriften und der Bibel in der Landessprache das arabische Wort für Gott, eben Allah, zu benutzen. Die Christen wollen eine Neubewertung des Allah-Verbots erreichen. Die Kirchen, so Shastri, seien dabei aber nicht auf alles oder nichts aus, sondern "kompromissbereit".

Unterstützer der Pakatan Harapan-Partei schwenken vor dem Perdana Putra-Gebäude, dem Sitz des Premierministers, Fahnen der Partei.

Perkasa-Chef Ruhanie Ahmad kündigte unverzüglich nach dem Wahlsieg der Opposition eine Politik des Jetzt-erst-recht an. "Im Anbetracht des gegenwärtigen politischen Szenarios muß sich Perkasa noch lauter und aggressiver für Rasse, Religion und Vaterland einsetzen." Allerdings ist es in dem "gegenwärtigen politischen Szenario" eher unwahrscheinlich, das Perkasa von der neuen Regierung weiterhin finanziell und politisch unterstützt wird.

Mit Ausnahme der chinesisch dominierten, säkularen DAP sind die anderen drei Parteien der Pakatan Harapan muslimisch-malaiisch geprägt. Die Vorstellung eines islamischen Gottesstaates ist ihnen fremd. "Die Pakatan Harapan mit der Amanah als einem der Koalitionspartner wird islamische Exzesse in Schach halten können", prophezeit Shastri.

Unterdessen hat die neue Regierung  von Premierminister Mahathir und seiner Stellvertreterin Wan Azizah Wan Ismail, der Ehefrau von Anwar Ibrahim, mit den Aufräumarbeiten begonnen. Im Fall der "1MDB"-Korruption werden die Akten geöffnet und gegen Ex-Premier Najib wurde ein Ausreiseverbot verhängt. Wieder aufgerollt wird auch die Korruption um den Kauf französischer U-Boote und in diesem Zusammenhang auch der brutale Mord an der mongolischen Übersetzerin Shaariibuugiin Altantuyaa. In beiden Fällen gibt es auch Verdachtsmomente gegen Najib.

Der malaysischen Menschenrechtskommission schließlich hat Mahathir grünes Licht für die Wiederaufnahme der Ermittlungen im Fall des im Februar 2017 entführten und seitdem spurlos verschwundenen protestantischen Pastors Raymond Koh gegeben. Die Regierung Najib hatte die Ermittlungen im Fall Koh, in die islamische Behörden und Sicherheitsbehörden verwickelt sein sollen, behindert, wo sie nur konnte.