"Alle saßen um das kleine Radio im Speisesaal herum, gespannt auf das Ergebnis", sagt Zvi Cohen. Der 86-jährige Israeli und Kibbuznik erinnert sich noch genau an den Tag, an dem die UN darüber entschieden haben, ob es einen jüdischen Staat geben soll. Es war der 29. November 1947. "Nacheinander stimmten die Länder ab, und wir zählten jede einzelne Stimme." Als dann das Ergebnis feststand, seien alle aufgesprungen: "Wir lachten und weinten, sangen und tanzten."
Es sollte noch ein halbes Jahr dauern, bis die Briten aus Palästina abzogen und David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 den jüdischen Staat ausrief. "Das war ein erregender, ein großer Moment in meinem Leben", sagt Cohen. Nach dem Holocaust sei das Ziel der Juden ein eigenes Land gewesen. "Und das hatten wir endlich erreicht."
Idee eines jüdischen Staates eng verbunden mit der Geschichte der europäischen Juden
Zvi Cohen war damals knapp 17 Jahre alt. Seit mehr als zwei Jahren lebte er schon in Palästina, im Kibbuz Ma'abarot, circa 50 Kilometer nördlich von Tel Aviv. Hinter ihm lagen die Vertreibung aus Deutschland und traumatische Jahre im Ghetto Theresienstadt.
Die Idee eines jüdischen Staates ist eng verbunden mit der Geschichte der europäischen Juden. Als Vater des politischen Zionismus gilt der Basler Theodor Herzl (1860-1904), erster Präsident der 1897 gegründeten Zionistischen Weltorganisation. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte er den Zionismus zu einer nationalen Bewegung als Reaktion auf die anhaltende Unterdrückung und Diskriminierung der Juden in Europa. Doch erst nach der millionenfachen Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis sah die Weltgemeinschaft die Notwendigkeit eines jüdischen Staates.
Palästina war zu dieser Zeit britisches Mandatsgebiet. Die britische Kontrolle endete rund ein halbes Jahr nach der UN-Entscheidung, Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu teilen - am 14. Mai 1948.
In der Nacht vom 14. zum 15. Mai 1948 marschierten die Armeen Ägyptens, Transjordaniens, Syriens, des Irak und des Libanon ein, um die Proklamation des jüdischen Staates rückgängig zu machen. Im Januar endet der erste Krieg in der Region mit dem militärischen Sieg Israels, das auch einen Teil des Gebiets eroberte, das im UN-Teilungsplan den Palästinensern zugedacht war.
Plötzlich ein Soldat
Auch Zvi Cohen kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Die Verteidigung des neu gegründeten Staates sei für ihn ein Kampf fürs Leben gewesen, sagt Cohen. "Ein Jude, der so viel erleiden musste und unterdrückt war - plötzlich ein Soldat", beschreibt er das Gefühl. "Das hat mich mit einem Stolz erfüllt, den ich nicht erklären kann. Jetzt habe ich eine Waffe in der Hand und jetzt kann ich mich wehren."
In das Gedächtnis der Palästinenser gingen die Geschehnisse von 1948/49 als Nakba (Katastrophe) ein, Hunderttausende wurden zu Flüchtlingen. Krieg und Terror gehören seither zur israelisch-palästinensischen Realität - mit vielen Opfern auf beiden Seiten.
Zweistaatenlösung oder Staatenbund?
Ist in Zukunft Frieden in Sicht? Ein Anruf bei dem israelischen Historiker Tom Segev in Jerusalem: Der palästinensisch-israelische Konflikt sei "Teil des Preises", den man zahle für einen jüdischen Staat, sagt Segev. Nüchtern wirkt seine Einschätzung: Palästinenser und Juden seien zwei verschiedene Völker, die zwei verschiedene Kulturen hätten, mit zwei verschiedenen Religionen und Sprachen. "Was sollen die beiden eigentlich für Grundwerte formulieren für ein gemeinsames Leben in einem Staat?"
Auch der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn zeigt sich desillusioniert: Es werde alles bleiben wie bisher - "einstweilen ungelöst". Die Zweistaatenlösung für Israel und die Palästinenser, die die USA wie auch die Europäer als Friedenslösung favorisieren, ist aus seiner Sicht nie eine Lösung gewesen und inzwischen "völlig unrealistisch". Man müsse stattdessen über föderative Strukturen nachdenken, eine Mischung aus Bundesstaat und Staatenbund, sagt der Münchner Wissenschaftler.
Laut der israelischen Nachrichtenseite "Ynet" sind im vergangenen Jahr 27.000 Juden nach Israel eingewandert, die meisten aus Europa, zitiert die Zeitung das israelische Zentralamt für Statistik. Israel ist ein Land mit einer extrem heterogenen Bevölkerung, mit verschiedenen Kulturen und Muttersprachen. Laut Fischer Weltalmanach sind knapp 76 Prozent der Israelis Juden, 17 Prozent Muslime, zwei Prozent Christen und knapp zwei Prozent gehören der drusischen Minderheit an.
Eine wichtige innenpolitische Aufgabe für Israel werde sein, sagt Wolffsohn, die innerjüdischen Spannungen zwischen religiösen und nichtreligiösen Juden abzufedern. Unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie das Verhältnis zwischen Staat und Religion geregelt werden soll, prallen aufeinander - sei es, wenn es um die Militärpflicht, die Einhaltung des Sabbat oder das Eherecht geht. "Israel ist in der Tat ein sehr tief gespaltenes Land", sagt auch Segev. Wenn sie es sich leisten könnten, zögen immer mehr säkulare Menschen aus Jerusalem nach Tel Aviv.
"Israel war, ist und bleibt die Lebensversicherung für die Juden der Welt", bringt Wolffsohn die Gründe für die anhaltende Attraktivität Israels als Einwanderungsland auf den Punkt - gerade vor dem Hintergrund antisemitischer Übergriffe in Europa. Die Bedeutung werde sogar noch steigen. "Denn wer hätte gedacht, dass sich Juden nach dem Holocaust auf Deutschlands Straßen quasi verstecken müssen?"