Das Leben selbst in die Hand nehmen

Elisabeth-von-Thadden-Schule
Foto: Markus Bechtold
Blick in die Klasse 5c: Die zehnjährige Nike (links) erzählt ihren Mitschülern, worin sie stark ist.
Das Leben selbst in die Hand nehmen
Zu Besuch in der Elisabeth-von-Thadden-Schule in Heidelberg
Für unsere Serie "Evangelische Schulen" waren wir in ganz Deutschland unterwegs. In der Elisabeth-von-Thadden Schule in Heidelberg lernen Schülerinnen und Schüler durch die Vermittlung christlicher Werte Verantwortung für sich und vor allem auch für andere zu übernehmen.

Es gibt Orte, die einen Swing haben. Orte, die durch das Zusammenleben von Menschen geprägt, aufgeladen werden, so dass sie ihrerseits eine Wirkung ausüben können. Eine Wirkung, die zur Menschlichkeit anregt, zur Kreativität, zum Guten. Die Elisabeth-von-Thadden-Schule in Heidelberg ist so ein Ort.

Die Schulkapelle.

An der Eingangsmauer zum historischen Schulcampus hängt eine Plakette: "Schule mit Courage, Schule ohne Rassismus". Schüler gehen, allein oder zu zweit, im großen Park der Schule spazieren. Ungewöhnlich für Jugendliche in diesem Alter. In der Mitte auf einer großen Rasenfläche steht ein Pavillon. Neben Sitzmöglichkeiten gibt es dort eine Schultafel, so dass hier Unterricht im Freien stattfinden kann.

Es gibt ein Beachvolleyball-Feld und andere Sportmöglichkeiten, Einrichtungen, die auf einem Schulgelände nicht überraschen. Im hinteren Abschnitt des Parks stehen aber auch Bienenkästen, deren zwei Bienenvölker von den Schülern betreut werden. Andere kümmern sich um einen Kräutergarten. Auf dem weitläufigen Gelände steht auch die Wieblinger Kapelle, ein kleiner Saalbau aus dem 15. Jahrhundert mit einem weithin sichtbaren Turm. Die Tür der Kapelle ist immer offen.

Wo der Mensch gesehen wird

"Hallo Lieblingsmensch, ein riesen Kompliment. Dafür, dass Du mich so gut kennst", singen die Schülerinnen und Schüler zweier sechsten Klassen mit Schulpfarrerin Petra Ehrl und dem Organisten Johannes Balbach das Lied von Namika. Sie lächeln sich zu, selbstbewusst geht es weiter: "Bei dir kann ich ich sein, verträumt und verrückt sein". Es ist Freitagmorgen. Gottesdienst in der Schulkapelle. Der Bau besitzt alte Malereien. Wer nach oben blickt, sieht Christus als Weltenrichter und die Symbole der Evangelisten: Engel, Löwe, Stier und Adler. Darunter im Kirchenraum erklingt Pop von heute, kraftvoll und fröhlich. Seit 7.50 Uhr feiert man zusammen Gottesdienst. Andachten und Gottesdienste gehören ganz selbstverständlich zum Schulalltag.

Heute geht es um die große Frage: Wer ist Dein Lieblingsmensch? In den Gottesdiensten spielt Singen eine große Rolle. "Singen öffnet die Seele, singen spült so viele Emotionen frei", sagt Balbach. So geht es dann auch gleich mit einem anderen Lied weiter: "Wo ein Mensch Vertrauen gibt, nicht nur an sich selber denkt, fällt ein Tropfen von dem Regen, der aus Wüsten Gärten macht." Pfarrerin Ehrl erzählt, wie gut es ist, sich für andere einzusetzen. Ein Thema, das einem in dieser Schule häufig begegnet. Die 40 Minuten vergehen schnell. Danach beginnt für die Schülerinnen und Schüler der Schulalltag.

Schulpfarrerin Petra Ehrl feiert den morgendlichen Gottesdienst.

In der Klasse 5c werden derweil zentrale Aspekte sozialer Gemeinschaft verhandelt. Eine trubelige Gruppe von 26 Schülern und Schülerinnen hat sich den kompletten Klassenraum erobert. An eine vor die Wand gespannte Wäscheleine hängen sie Zettel, auf denen sie zuvor notiert haben, was sie besonders gut können, wo ihre Stärken liegen: "Ich habe zum ersten Mal auf meine Schwester aufgepasst", "Ich kann ein Geheimnis für mich behalten" oder "Ich kann gut mit Freunden lachen".

Auch die Lehrerin, Martina Seip, lacht. Sie unterrichtet heute "Soziales Lernen", neben Mathe und Sport ihr drittes Fach an der Schule. Außerdem ist sie die Klassenlehrerin der 5c. "Die Kinder sollen sich in der Gruppe neu zurechtfinden, sich kennenlernen. Sie sollen Empathie für die anderen entwickeln, aber auch lernen, wie man mit Konflikten und Frustration umgeht."

Im Unterricht mit Lehrerin Martina Seip wird kreativ gelernt: am Tisch oder sitzend auf dem Boden.

Viele vergessen, dass es zum Beispiel auch gar nicht so leicht ist, mit Lob umzugehen. Auch dieses richtig einzuordnen und anzunehmen, will gelernt sein. Am besten lernt man das in der Gruppe. Und das macht auch noch Spaß. "Ich mag das Fach "Soziales Lernen", weil man hier eher kreativ ist, anstatt etwas von der Tafel abzuschreiben", sagt die zehnjährige Nike. Ihr Mitschüler Philipp ergänzt: "Hier lerne ich Selbstvertrauen. Außerdem ist es cool, Sachen in der Gruppe zu machen." Man lernt hier Dinge, die man an anderen Schulen nicht erfährt. Man kann sich fragen, woher die Kinder das zu wissen glauben, ist aber überrascht, wie einmütig alle die Besonderheit dieses Unterrichts hervorheben.

Lehrerin Seip sagt: "Was unsere Schüler auszeichnet, ist ihre hohe soziale Kompetenz. Sie sind füreinander da, achten aufeinander, was nicht selbstverständlich ist. Das bekommen alle mit, von der 5. bis zur 12. Klasse. Man kann das hier überall spüren."

Drei Fragen an Heinz-Martin Döpp, Schulleiter der Elisabeth-von-Thadden-Schule in Heidelberg.

Das Miteinander sieht auch Heinz-Martin Döpp, der Direktor der Elisabeth-von-Thadden-Schule, als zentralen Dreh- und Angelpunkt des pädagogischen Konzepts. Er ist auch evangelischer Pfarrer. Im schönsten Raum des "Alten Schlosses", des Hauptgebäudes der Schule, der den Schülern als Aufenthaltsraum dient und daher von einem Kickertisch dominiert wird, spricht Döpp über christliche Werte wie Nächstenliebe und verantwortungsvolles Handeln. "Wir müssen die Schule so gestalten, dass Schüler gern zur Schule gehen. Wer ohne Angst zur Schule geht, ist auch bereit, sich zu öffnen und seine eigene Meinung zu äußern", sagt er.

Döpp ist als Schulleiter verantwortlich für Schüler, die ganz verschiedene kulturelle und religiöse Prägungen mit in die Schule bringen. Das ist auch eine Herausforderung. Autorität verschafft man sich hier aber dadurch, dass man in seinem Tun ein Vorbild für seine Schüler ist. Und auch innerhalb der Schülerschaft gibt es Hilfestellung. So übernehmen Zehntklässler eine Patenschaft für Kinder, die neu an der Schule sind und sich erst eingewöhnen. Gibt es an der Schule Probleme, so werden diese nicht unter den Teppich gekehrt, sondern man wendet sich ihnen zu. Sich richtig streiten wird gelernt, damit auch die Versöhnung gelingen kann, mit Respekt, das ist anders als in anderen Schulen.

Das Schloss der Schule.

Schulalltag und Lehrplan an der Elisabeth-von-Thadden-Schule ermöglichen den Schülerinnen und Schülern große Freiräume, die sie mit ihren Fähigkeiten füllen können und dies auch gern oft über die reguläre Schulzeit hinaus tun. Das geht über den sozialen Bereich, wie ein Angebot für die Ausbildung zum Sanitätshelfer, oder zum Praktischen, etwa als Veranstaltungstechniker bis hin zu Künstlerischem, wie kreatives Nähen, Jazz-Tanz oder Zirkus. Die Atmosphäre dieser Schule ermutigt Kinder dazu, ihren Horizont zu erweitern, mit Offenheit in die Welt zu gehen.

So lernen Neuntklässler in einer Projektwoche andere Lebensweisen kennen, indem sie den bäuerlichen Betrieb auf einer Alm im Tessin mitmachen, einen Förster bei der Waldwirtschaft begleiten oder ein Kloster besuchen und den dortigen Tagesablauf erleben. Studienfahrten in Weltstädte wie Madrid, London oder New York sind immer mit Gegenbesuchen verbunden. Die Heidelberger Schüler gehen in die Welt, die Welt besucht sie in ihrer Schule. Ganz im Sinne der Schulgründerin und Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, Elisabeth von Thadden.

In der Turnhalle baut man derweil die Bühne eines Schulfestes vom gestrigen Abend ab, aber irgendwo erklingt immer noch Musik. Es swingt an dieser Schule, in mehr als einer Hinsicht.