TV-Tipp: "Marie Brand und der schwarze Tag" (ZDF)

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TV-Tipp: "Marie Brand und der schwarze Tag" (ZDF)
21.4., ZDF, 20.15 Uhr
Wird der Doktor selbst zum Patienten, bekommen Arztgeschichten gleich eine ganz andere Note. Im Krimi gibt es dieses Phänomen auch: wenn der Polizist als Delinquent gilt und den wahren Täter ermitteln muss, um seine Unschuld zu beweisen. Deshalb sollte diese 21. Episode der ZDF-Reihe mit Mariele Millowitsch und Hinnerk Schönemann streng genommen "Jürgen Simmel und der schwarze Tag" heißen.

Natürlich ist "Marie Brand und…" als Titel der 2008 gestarteten Filme eine eingeführte Marke, zumal die Hauptkommissarin zu Beginn eindeutig die Hauptfigur und Millowitsch der Star war, aber ihr Kollege Simmel hat sich im Nu als gleichberechtigter Partner etabliert; und Schönemann, mittlerweile unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet ("Mörder auf Amrum"), ist zumindest bei jüngeren Zuschauern längst der bekanntere von beiden. Deshalb wird es auch Zeit, dass das ZDF den ausschließlich auf die Titelheldin und ihre speziellen Begabungen zugeschnittenen Vorspann (beidhändiges Schreiben unterschiedlicher Texte) überarbeiten lässt, zumal Brands Brillanz in den Geschichten überhaupt keine Rolle mehr spielt.

"Marie Brand und der schwarze Tag" beginnt mit einem typischen Thrillereinstieg: Ein Mann wacht morgens neben einer Leiche auf. Die schöne Frau ist mit Handschellen ans Bett gefesselt und hat ein hässliches Loch im Bauch, er einen Filmriss. Nach und nach stellen sich Erinnerungsfetzen an den leidenschaftlichen Abend ein, aber der Rest der Nacht ist weg. Im Zimmer finden sich keinerlei Hinweise auf eine dritte Person; die gemeinsam geleerte Prosecco-Flasche enthält wider Erwarten keine Spuren von K.O.-Tropfen. Gerade weil der Mann Polizist ist, besteht Gustav Engler (Thomas Heinze), der Leiter der Kölner Mordkommission, auf besonderer Härte; und Marie Brand muss nun gegen ihren Partner ermitteln. Es ist eine ziemlich raffinierte Geschichte, die Jobst Christian Oetzmann (Buch und Regie) erzählt, denn neben dem Element "Ein Kommissar unter Mordverdacht" gibt es noch die Ebene "Schatten der Vergangenheit", und die macht diesen Krimi erst recht sehenswert: Die neue Staatsanwältin Carolin Kersting (Leslie Malton) kennt Simmel aus einstigen gemeinsamen Rostocker Tagen. Die ältere Juristin und der junge Anfänger waren damals ein Paar und haben vergeblich versucht, einen skrupellosen Geschäftemacher zur Strecke zu bringen, der dank diverser windiger Manöver wie kaum ein anderer von der ostdeutschen Wende profitiert hat; der Mann war jedoch cleverer und hat den beiden privat und beruflich einen schweren Schlag versetzt. Dieser Grave (Werner Wölbern) lebt mittlerweile ebenfalls in Köln. Als sich rausstellt, dass das Opfer eine auf den Kommissar angesetzte Prostituierte war, ist Simmel überzeugt, dass der Erzfeind ihn mit der Sexfalle und dem Mord endgültig vernichten will. Die Staatsanwältin lässt ihren früheren Geliebten laufen, damit er Beweise gegen den Unternehmer sammeln kann, aber die Flucht macht ihn erst recht verdächtig. Seine einzige Chance ist nun die Loyalität von Marie Brand, doch die soll die Akte schließen, weil die Indizienlage klar ist.

Oebstmann erzählt die Geschichte zwar als Thriller, nimmt jedoch Rücksicht auf Zuschauer, die solche Filme im Zweifelsfall als zu strapaziös empfinden. "Marie Brand und der schwarze Tag" ist durchaus fesselnd, aber das ergibt sich in erster Linie aus Simmels verzweifelter Lage und weniger aus der Inszenierung; selbst wenn die gute elektronische Musik (Florian Tessloff) beständig für Spannung sorgt. Oebstmann, dessen Drehbuch auf einer Vorlage von André Georgi basiert, verzichtet auch auf die kleinen komödiantischen Momente, für die Schönemann sonst sorgt. Ganz kurz blitzen sie mal auf, wenn Simmel im Dialog mit Brand nur noch ein Piepsen rausbringt oder schüchtern gegen die Kleidung protestiert, die die Kollegin in der Hotelboutique für ihn gekauft hat, weil er auch mit dem Rücken zur Wand nicht aus seiner Haut kann. Die sonst üblichen lockeren Sprüche wären diesmal jedoch deplatziert, schließlich geht es um die nackte Existenz des Kommissars. In den Schlüsselszenen kommt Oebstmann ohnehin ohne Worte aus. Das gilt vor allem für die lange Anfangssequenz, als sich die äußerst glaubwürdige Desorientiertheit des Kommissars schließlich zur heulenden Hilflosigkeit auswächst; solche Seiten dürfen die gern großspurigen Figuren, die der Schauspieler oft verkörpert, nur selten zeigen. Ähnlich eindrucksvoll ist Thomas Heinze. Er darf im Rahmen der Reihe ganz eindeutig nur die zweite Geige spielen, was im Grunde schade ist, weil er einen guten Kontrast zum Bauchmimen Schönemann darstellt. Seine Qualität liegt diesmal nicht zuletzt in seiner Lautstärke: Wie im richtigen Leben versuchen viele Schauspieler gern, Schwächen zu verdecken, indem sie die Stimme erheben; oft erreichen sie damit prompt das Gegenteil und wirken unfreiwillig komisch. Engler, sonst meist sehr beherrscht, ist stinksauer, als ihm klar wird, dass ihn seine beiden Mitarbeiter hintergangen haben, und bekommt einen für seine Verhältnisse ausgewachsenen Tobsuchtsanfall; und der wirkt kein bisschen lächerlich.

Sichtbar sorgfältig ist auch die Bildgestaltung; Oebstmann (Grimme-Preis für "Tatort: Im freien Fall", 2006) und Kameramann Volker Tittel haben schon 2007 zusammen das ausgezeichnete Drama "Der Novembermann" gedreht. Mit scheinbar überschaubaren Mitteln gelingt es Regie, Kamera und Schnitt, die Hotelzimmerszene erstaunlich aufwändig wirken zu lassen. Ohnehin ist der Film nur dort flott geschnitten, wo’s inhaltlich passt. An anderer Stelle, etwa bei einem Versöhnungsversuch der Staatsanwältin mit ihrer Tochter, bleibt die Kamera auf Distanz und schaut ganz ruhig zu; die Körpersprache der beiden Beteiligten sagt alles. Am Ende offenbart sich die ganze Bosheit des Komplotts durch einen Fehler, der angesichts des mit akribischer Perfidie entworfenen Plans nicht recht glaubwürdig wirkt, aber das ist nur ein winziger Kritikpunkt an einer eiskalt servierten Rachegeschichte.