Wenige römisch-theologische Theologen hätten sich wie er für eine Annäherung der christlichen Kirchen, aber auch der Religionen engagiert, sagte die ehemalige hannoversche Landesbischöfin am Freitagabend in Tübingen. Die Theologin sprach bei einem Festakt zu Küngs 90. Geburtstag, den er am 19. März gefeiert hatte.
In ihrem Vortrag zu "Reformation und Toleranz" sagte Käßmann, dass die Decke der religiösen Toleranz in Deutschland dünn sei. Das zeigten Debatten um die Beschneidung von Jungen als religiöses Ritual, konfessionellen Religionsunterricht, Moscheebauten, das Tragen von Kopftüchern oder die Akzeptanz eines Kreuzes im Gerichtssaal. Sie erinnerte daran, dass die Bedeutung des Wortes Toleranz sei, andere Positionen zu "ertragen".
Die Reformation war der Theologin zufolge in verschiedenen Bereichen intolerant, etwa in Glaubensfragen, in ihrer Befürwortung von Waffengewalt und im Blick auf andere Religionen. Gleichzeitig habe es eine "Lerngeschichte der Toleranz" gegeben, die vom Augsburger Religionsfrieden 1555 bis zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen Lutheranern und Vatikan 1999 reiche. Der ursprünglich kirchlich gedachte Begriff der "versöhnten Verschiedenheit" könnte auch passend sein für die religiöse Toleranz. Von einem "Religionsmischmasch" halte sie aber nichts, betonte Käßmann.
Die Festrednerin lobte Küngs Projekt "Weltethos", das ethische Basisstandards suche, die von allen Religionen und Kulturen bejaht werden könnten. Die jüngere Geschichte habe laut einer Studie des Weltethos-Instituts gezeigt, dass religiöse Akteure in aller Welt auch zur Verminderung von Gewalt in politischen Konflikten beigetragen hätten. Das betrachte sie als "ungeheure Ermutigung", sagte die Theologin.