Weil der Ehrgeiz der jungen Frauen ähnlich krankhaft ist wie ihre Sehnsucht nach dem perfekt schlanken Körper, sind sie bereit, alles für ein "Shooting" zu tun; skrupellose Agenturchefinnen zwingen ihre "Mädchen", Appetitzügler zu nehmen, die sie prompt in ähnlichem Umfang konsumieren wie Drogen; die Mütter der Models sind noch karrierefixierter als ihre Töchter und bauen den gleichen Druck auf wie einst die "Eislaufmuttis"; die Fotografen pflegen während der Arbeit ständig Anglizismen von sich zu geben ("That's beautiful", "I like it", "So nice") und nach Feierabend Sexpartys mit ihren Modellen zu veranstalten. Und weil in einem entsprechenden Film zwangsläufig ständig junge Frauen in Unterwäsche zu sehen sind, kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Das Ergebnis, "Preis der Schönheit" bewegt sich allerdings deutlich unter dem Durchschnitt der Traditionsreihe "Ein starkes Team". Das hängt zwar auch mit den Klischees zusammen, aber nicht ursächlich; größeres Manko der Geschichte ist ihre fehlende innere Spannung. In der Umsetzung durch den erfahrenen Regisseur Ulrich Zrenner wirken sämtliche Beteiligten wie Statisten. Gerade zwischen den Ermittlern passiert überhaupt nichts; der Reiz, den die Neubesetzung der weiblichen Hauptrolle mit Stefanie Stappenbeck als Kommissarin Linett Wachow 2016 ausgelöst hat, ist komplett verflogen. Wie schwer sich der Krimi mit Zwischentönen tut, zeigt eine Bemerkung von Otto Garber (Florian Martens). Er stellt fest, dass eins der Models seiner Kollegin ans Herz gewachsen ist. Der Hinweis ist in der Tat nötig, denn der Film vermittelt das kaum. Von diesem emotionalen Engagement abgesehen ist Wachow in jeder Hinsicht bloß Mitläuferin. Wenigstens bekommt Garber ein paar jener Momente, die seine Rolle schon seit über zwanzig Jahren auszeichnen, und hier verzichtet das ansonsten an Erklärungen reiche Drehbuch zum Glück darauf zu erläutern, warum die Macher einer DDR-Modezeitschrift für ihre Titelschlagzeile "Unser Tipp: Westen" Ärger bekommen haben.
Der Rest ist Laufsteg, im konkreten wie im übertragenen Sinn. Die Geschichte beginnt mit einem "Shooting" vor dem ehemaligen Flughafengebäude in Berlin-Tempelhof. Es gibt ein bisschen Ärger, weil Model-Chefin Petersen (Dennenesch Zoudé) kurzfristig entscheidet, dass nicht wie geplant die brünette Hanna (Caroline Hartig), sondern die blonde Leonie (Amelie Otto) aufs Titelblatt einer Zeitschrift soll. Während der anschließenden Aufnahmen bricht Leonie zusammen und stirbt an einer Überdosis Ecstasy. Die Drogen waren in ihrer namentlich gekennzeichneten und für jedermann zugänglichen Trinkflasche. Prompt erfolgen die üblichen Verdächtigungen: Ist Hanna von ihrer Konkurrentin vergiftet worden? Oder von ihrem Ex-Freund, den sie lieblos abserviert hat? Oder war es die Agenturchefin, weil Leonie publik machen wollte, dass Petersen ihren Models Appetitzügler verabreicht? Hat Leonie die Frau womöglich erpresst, damit ihr Vertrag verlängert wird? Immerhin ist sie schon 23, die besten Jahre lagen bereits hinter ihr, wie Hanna mitleidlos feststellt; demnächst hätte sie nur noch Werbung für Anti-Aging-Produkte machen können.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Immerhin liegt die Lösung des Mordfalls nicht auf der Hand, und als Petersen kurz drauf Opfer eines Mordversuchs wird, legt der Film mit Erfolg eine falsche Fährte. Darüber hinaus gibt es jedoch nicht viel, das für diese 74. Episode der Reihe spricht. Dass Pomorin seine Geschichte nicht als Beitrag zur aktuellen Debatte über sexuelle Übergriffe ("#metoo") konzipiert hat, lässt sich ihm schlecht vorwerfen; die gab es schlicht noch nicht, als er das Drehbuch verfasst hat. Trotzdem weckt der Name des Autors, der gerade für "Ein starkes Team" schon viele gute Drehbücher geschrieben hat, die Erwartungen eines deutlich seriöseren Umgangs mit dem Thema, aber "Preis der Schönheit" ist mitunter pure Kolportage, selbst wenn einige Klischees im Verlauf der Handlung relativiert werden. Die Modelmutter (Gerit Kling), einst Miss Brandenburg, projiziert nicht etwa den eigenen Ehrgeiz auf ihre Tochter; sie unterstützt Hanna, um nicht den Draht zu ihr zu verlieren. Der unsympathische Fotograf (Tobias Oertel) lässt sich für seine Dienste von den jungen Frauen keineswegs mit Sex bezahlen, denn er ist schwul; dafür veranstaltet er Kokspartys, bei denen die zum Teil noch minderjährigen Mädchen den potenziellen Auftraggebern zu Diensten sein sollen. Gut möglich, dass sich Pomorin das nicht ausgedacht hat; aber im Rahmen des Films dient die Party nur der Steigerung des Nervenkitzels. An anderer Stelle geht das Drehbuch dafür allzu sehr ins Detail. So fällt zum Beispiel der Vortrag einer Toxikologin (Dorka Gryllus) über die Zusammensetzung der tödlichen Droge viel zu umständlich aus. Die Szene dient erkennbar nur dem Zweck, die Figur einzuführen, weil sie später noch eine maßgebliche Rolle spielen wird. Als Pomorin das Geheimnis lüftet, ist es aber längst keine Überraschung mehr; und der Film immer noch nicht zu Ende.