Kein Wunder, dass "Unter Feinden" (2014), eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Georg M. Oswald über den drogenabhängigen Hamburger Ermittler Erich Kessel (Fritz Karl) und seinen Partner Mario Diller (Nicholas Ofczarek), mit gut 4 Millionen Zuschauern nur halbwegs erfolgreich war. Weil das Werk aber von "Nachtschicht"-Schöpfer Lars Becker stammte und außerdem herausragend war, durfte der Regisseur "Zum Sterben zu früh" eine womöglich noch finsterere Fortsetzung (die allerdings eher wie die Vorgeschichte zu "Unter Feinden" wirkte) drehen. "Zum Sterben zu früh" wurde in den Kategorien Beste Regie und Beste Kamera mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.
Mit dem dritten Teil, "Reich oder tot", der längst nur noch auf Motiven der Romanvorlage basiert, erzählt Becker die Geschichte im Grunde noch mal (tatsächlich lautete der Arbeitstitel "Zum Sterben zu früh II"): Seit seine Frau Claire (Jessica Schwarz) ihn vor die Tür gesetzt hat, kennt Kessel keinerlei Skrupel mehr. Als ein Trio von Kleinganoven eine Bank überfällt und dabei eine Million Euro erbeutet, sieht er seine Chance aufs große Geld. Immerhin gewährt Becker seinem Antihelden in gewisser Weise mildernde Umstände, indem er ihn aus hehren Motiven handeln lässt: Kessels kleine Tochter leidet unter Epilepsie und bedarf (wie schon im zweiten Film) einer dringenden Operation, die es nur in Amerika und nur für viel Geld gibt. Außerdem waren das Mädchen und seine Mutter während des Überfalls in der Bank. Darüber hinaus ist der Kommissar ohnehin die tragische Figur der Geschichte: Claire hat ein Verhältnis mit Diller, und als eine Informantin ihm ein Päckchen Kokain unterschiebt und die Polizei informiert, landet er auch noch im Knast.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Reich oder tot" ist nicht zuletzt dank der ausnahmslos vorzüglichen Schauspieler sehenswert, aber Lug und Trug dominieren womöglich noch mehr als bisher. Das gilt diesmal auch für Diller, der bislang immerhin ansatzweise für Recht und Ordnung stand; durch die Affäre mit Claire betrügt er nicht nur seinen besten Freund, sondern auch seine Frau (Anna Loos). Der Vorgesetzte (Martin Brambach) des Duos sieht sich ohnehin eher als Vater einer großen Familie und ist bereit, alle Schandtaten unter den Teppich zu kehren, solange Staatsanwältin Nazari (Melika Foroutan), eine Beamtin mit iranischen Wurzeln und Kopftuch, nichts davon mitbekommt. Sie ist zwar der letzte juristische Kompass der Geschichte, taugt aber ebenfalls nicht als Sympathieträgerin, weil ihre Motive offenkundig persönlicher Natur sind: Sie mag Kessel nicht und ist überzeugt, dass auch Diller Dreck am Stecken hat. Ähnlich wie in "Zum Sterben zu früh" ist die einzige Figur mit halbwegs intakter Moral ausgerechnet ein Ganove: Einer der drei Bankräuber, Mohammed (Sahin Eryilmaz), bemüht sich um eine Art Ehrenkodex und sorgt dafür, dass die Komplizen Kessels Tochter, die sie nach dem Überfall als Geisel genommen haben, wieder freilassen. Alle anderen Figuren zeichnen sich jedoch durch einen offenkundigen Mangel an Respekt aus: vor dem Gesetz, vor der Moral, vor Freunden, Ehepartnern und Kollegen. Zum Personal gehört auch noch ein Drogenboss, und Becker belegt mit der Besetzung der Gastrolle mit Francis Fulton Smiths wieder einmal, wie reizvoll es sein kann, wenn Publikumslieblinge aus leichten Produktionen zur Abwechslung in eine Schurkenrolle schlüpfen.
Weil zum klassischen Polizeifilm auch Gewalt gehört und weder Polizisten noch Gangster zimperlich sind, gibt es diverse Tote, meist als Ergebnis regelrechter Hinrichtungen. Der Version für TV-Kritiker hat Arte daher eine Warnung vorangestellt: "Achtung, diese Sendung enthält Passagen, die empfindsame oder junge Zuschauer verstören könnten." Andererseits zeigt der Sender den Film trotzdem um 20.15 Uhr, was einer Kinofreigabe ab zwölf Jahren entspräche. Letztlich sind es ohnehin weniger die Gewaltszenen, die verstören könnten, sondern die moralische Verkommenheit der handelnden Personen. "Reich oder tot" ist zwar dennoch sehenswert, aber von den drei Filmen der schwächste.