Da die Polizei sie ohnehin für die Mörder halten würde, will sich Tim (Ludwig Simon) lieber gleich stellen; sein Kumpel Robin (Jacob Meinecke) zieht es vor unterzutauchen. Borchert und seine junge Partnerin Dominique (Ina Paule Klink) übernehmen den Fall. Allerdings sprechen sämtliche Indizien gegen die beiden Jungs; um ihre Unschuld zu beweisen, muss das Anwaltsduo den wahren Mörder finden. Thalmann, der Tote, leitete eins der wichtigsten Bauunternehmen in der Schweiz. Von seinem Ableben profitieren als Erben vor allem die Witwe (Julika Jenkins) und der Bruder (Anian Zollner), die die Geschicke der Firma aber nur gemeinsam beeinflussen können, weil Thalmann Geld und Macht in unterschiedliche Hände gelegt hat.
Autor Wolf Jakoby, der auch die Vorlage zum dritten Film geliefert hat, ist diesmal durch Daniel Douglas Wissmann unterstützt worden, aber ansonsten war für "Borchert und die Macht der Gewohnheit" hinter der Kamera das gleiche Personal verantwortlich wie beim letzten Mal. Trotzdem gibt es signifikante Qualitätsunterschiede, und die haben nicht in erster Linie mit der Handlung zu tun. Die Geschichte mag nicht die ethische Relevanz von "Borchert und die letzte Hoffnung" besitzen, als es um das Thema Sterbehilfe ging, aber das erneut sehr komplexe Drehbuch steckt auch diesmal wieder voller Überraschungen und sorgt unter anderem dafür, dass Borchert und Dominique unabhängig voneinander lebensgefährlich verletzt werden. So beginnt der Film auch: Die sichtlich ramponierte Juristin ist im Krankenhaus gerade wieder mühsam auf die Beine gekommen, als der mit dem Tod ringende Kollege eingeliefert wird. Eine lange Rückblende liefert die Vorgeschichte nach; als sich der Kreis schließlich schließt, reicht die Zeit nur noch für einen Epilog.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Muster mit dem Cliffhanger ist zwar nicht sonderlich einfallsreich, funktioniert aber; für Krimispannung ist also gesorgt. Die emotionale Wirkung ist dagegen längst nicht so groß wie beim eine Woche zuvor ausgestrahlten letzten Film, weil "Borchert und die Macht der Gewohnheit" auch sonst in vielerlei Hinsicht dem üblichen Muster folgt. Die Bildgestaltung (Max Knauer) ist zwar erneut ausgezeichnet und aufwändig, aber Regisseur Roland Suso Richter lässt diesmal einige Kleinigkeiten zu, die die Episode wie einen normalen TV-Krimi wirken lassen. Gleich mehrfach muss Borchert erläutern, was er gerade tut oder was gleich passieren wird; solche Sätze gelten stets dem Publikum. Am auffälligsten in dieser Hinsicht ist eine Szene, in der er in einem Hotellokal mit seinem Telefon Fotos macht, vom Kellner aufgefordert wird, die Aufnahmen zu löschen und dann beim Verlassen laut vor sich hin erzählt, wie er die Bilder wieder aus dem Papierkorb holt. Davon abgesehen sind es neben der interessanten Geschichte gerade die Schauspieler, die den Film sehenswert machen, zumal das Drehbuchduo die Entwürfe der Episodenfiguren um reizvolle biografische Details ergänzt. So ist zum Beispiel die Witwe eine bekannte und von Borchert sehr verehrte Bühnenschauspielerin, und dass sich zu Beginn Gwen und Saskia (Mercedes Müller, Zsá Inci Bürkle), die Freundinnen von Tim und Robin, über Saskias Arbeit als Begleitung für Geschäftsleute unterhalten, hat natürlich auch seinen Grund. Dagegen haben die Stippvisiten von Borcherts Freundin (Angela Roy) überhaupt keinen Bezug zur Handlung. Ihre regelmäßigen Besuche wirken wie ein Vorwand, um sie am Schluss rechtzeitig auftauchen und dem Anwalt das Leben retten zu lassen.
Dieses Finale ist allerdings ein kleiner Knüller, doch ansonsten erinnert der "Zürich-Krimi" in vielerlei Hinsicht an andere Reihen; und das nicht nur, weil Ina Paule Klink exakt die gleiche Rolle spielt wie in "Wilsberg" (ZDF). Was dem Detektiv aus Münster sein Antiquariat, das ist für Borchert der Trailer auf dem Grundstück seines Elternhauses. Die Ermittlungen in den besten Kreisen, aber vor allem die Dreieckskonstellation des Anwalts, seiner Partnerin und des Polizisten erinnert dagegen an "Mord in bester Gesellschaft", die 2017 beendete Reihe mit Fritz und Sophie Wepper sowie Wayne Carpendale: hier der alte Hase und seine junge Mitstreiterin, dort Hauptmann Furrer (Felix Kramer), der zwar im selben Boot sitzt wie das Anwaltsduo, mitunter aber in eine andere Richtung rudert; die Dialoge zwischen ihm und Dominique sind regelmäßig eine Mischung aus Streit und Flirt. Die gelegentlichen humoristischen Momente, etwa wenn sich der verkaterte Borchert – "Ich hasse Montage, vor allem, wenn sie schon sonntags anfangen" – im Auto die Krawatte bindet und sie mit dem Sitzgurt verknotet, sind dagegen ein neues Element, das den Filmen gut tut.