Angela Ritzkowski hat für ihren Unterricht gebastelt. Rote, hellblaue und lilafarbene Pappstreifen und rote rechteckige Pappschalen liegen auf den zwei Tischen des naturwissenschaftlichen Klassenraums. Die promovierte Biologin Ritzkowski zeigt das Bild eines fetalen Kreislauf-Systems auf einem Bildschirm; riesige Fernseher wie dieser ersetzen im gesamten Gebäude des beruflichen Gymnasiums in Darmstadt die Kreide-Tafeln.
Die 16 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe zwölf haben die Aufgabe aus den Pappstreifen und -schalen das menschliche Herzkreislauf-System zusammen zu kleben. Später werden sie Murmeln durch die Papp-Venen rollen lassen, die das Blut und seine Flussrichtung symbolisieren.
"Ich möchte, dass sie wirklich verstehen, wie es funktioniert", sagt Ritzkoswski. Sie unterrichtet Gesundheitslehre und gestaltet ihren Unterricht möglichst praktisch. Man kann wirklich neidisch werden auf diese Schüler. "Diese Schule war für mich Liebe auf den ersten Blick", sagt Marleen Lipinski. Wie viele Menschen sagen so etwas von ihrer Schule? War es nicht eher so, dass die Schulzeit vieler Menschen darin bestand, in Reih und Glied zu sitzen, von der Tafel abzuschreiben, auswendig zu lernen und Heft um Heft vollzuschreiben?
Marleen Lipinski will Wirtschaftspsychologie studieren, ihre Schulfreundin Laïs Lohoff Zahnmedizin. Die beiden sind noch nicht mal volljährig und haben noch über ein Jahr bis zum Abitur - und doch wissen sie schon, was sie wollen. Ihre Lehrerinnen und Lehrer nähmen sich Zeit für sie, sagen die jungen Frauen. Zudem profitieren sie von der einzigartigen Lage und Anbindung an das traditionelle Elisabethenstift.
Im Unterricht können die Lehrerinnen und Lehrer ihren Schülern echte Einblicke bieten: Der Leiter der angrenzenden Psychiatrie besuchte die Klasse gemeinsam mit einem Patienten und führte vor, wie ein Anamnese-Gespräch abläuft. Der Patient hatte zuvor zugestimmt, vor der Klasse zu sprechen. Eine andere Schülerin interessierte sich für die Logopädie, woraufhin ein Lehrer ihr einen Praktikums-Tag bei der Logopädin organisiert hat, die im angrenzenden Krankenhaus arbeitet.
Zum Gelände des Elisabethenstifts gehören neben dem Agaplesion-Krankenhaus auch ein Hospiz, ein Seniorenwohnheim und eine Kindertagesstätte. Mehrere Schüler haben bereits in der Kita und im Krankenhaus Elisabethenstift hospitiert, dort durften sie beispielsweise bei orthopädischen Operationen dabei sein. 50 Meter Luftlinie liegt das Krankenhaus vom Eingang des Schulgebäudes entfernt. "Das ist ein Alleinstellungsmerkmal unserer Schule, dass wir die Nähe zu diesen Einrichtungen haben und miteinander kooperieren", sagt Schulleiter Henrik Hartig. Auch einen Ausbildungsplatz konnten sie schon vermitteln. Eine Schülerin des ersten Jahrgangs hat nach der mittleren Reife, also der elften Klasse, direkt eine Ausbildung als Pflegekraft im Krakenhaus gegenüber begonnen.
Sowohl Hartig, der auch schon an anderen Schulen gearbeitet hat, als auch Angela Ritzkowski sind begeistert von ihren Schülerinnen und Schülern. Jede und jeder zeige seine Zugehörigkeit zur Schule sehr gerne, sagen sie. Das sehe man zum Beispiel daran, dass die T-Shirts mit dem Aufdruck der Schule begehrt seien und dass sich die Schüler freiwillig und gerne auf der Hochschul- und Berufsinformations-Messe hobit präsentiert hätten. "Wir haben hier ein Vertrauensverhältnis zu den Schülern, was ich von anderen Schulen nicht kenne", sagt Hartig.
Das evangelische berufliche Gymnasium ist jüngster Zuwachs des traditionellen Ensembles des 1858 gegründeten Elisabethenstifts. Im Jahr 2016 begann der Schulbetrieb mit einem ersten elften Jahrgang und dem Schwerpunkt Gesundheit und Soziales. Im Jahr 2020 kommt voraussichtlich noch ein Schwerpunkt Pädagogik hinzu - den die Schule in Koperation mit der angrenzenden Aussbildungsstätte für Sozialpädagogische Berufe stemmen wird. Henrik Hartig ist dort bereits seit dem Jahr 2010 stellvertrender Schulleiter.
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) finanziert 25 Prozent der jährlichen Kosten der Schule. Dass es sich um eine evangelische Schule handelt, merkt man jedoch auch an Anderem: Es gibt eine Arbeitsgruppe Rituale, die die Gottesdienste im Jahresverlauf organisiert und sich um den "Raum der Stille" kümmert. Unterrichtet wird nur evangelischer Religionsunterricht und jeder Schüler und jede Schülerin muss teilnehmen. "Das war bisher aber weder ein Problem für unsere katholischen, muslimischen noch für unsere nicht-religiösen Schülerinnen und Schüler ", sagt Henrik Hartig. Schließlich wisse das jede Schülerin und jeder Schüler, bevor er oder sie an der Schule anfange.
Momentan besuchen 47 Schülerinnen und Schüler in zwei elften und einer zwölften Klasse die Schule. Ein bisschen Kapazität hätten sie noch, sagt Henrik Hartig. Doch viel mehr als 150 Schüler sollen es auch mit dem pädagogischen Schwerpunkt nicht werden. Denn davon abgesehen, dass dafür die Räume fehlen, sieht er die Stärke seiner Schule auch in der Zeit, die jedem und jeder Einzelnen gewidmet werden kann.
Wie persönlich und freundlich der Umgang sowohl in der Schule als auch auf dem Gelände ist, erfährt man auch an dieser kleinen Geschichte: Die Fenster des Seniorenwohnheims liegen direkt gegenüber des Schulgebäudes. Bewohner und Schüler kennen sich mittlerweile, weil sie sich anfangs zugewinkt hätten und daraus persönliche Kontakte entstanden seien, erzählt Henrik Hartig. Seit Beginn des aktuellen Schuljahres proben die Schüler der Jahrgangsstufe zwölf innerhalb des Wahlpflichtfachs "Darstellendes Spiel" ein Theaterstück. Vor wem sie gerne spielen wollten, hatten die Lehrer sie gefragt. Für die Schülerinnen und Schüler war die Antwort sofort klar: Die ersten Zuschauer ihres Stücks würden die Bewohner des Seniorenwohnheims sein.