"Wut" beginnt auf eine Weise, die typisch ist für diesen Film. Im Grunde passiert nur wenig, aber das auf eine höchst intensive Weise: Manfred Reiser (Tobias Moretti) trauert um seinen Sohn, greift zur Waffe, stellt die beiden Männer, die in sein Haus eindringen, und verschwindet. Später stellt sich raus: Sämtliche Beteiligten, der Vater wie die Eindringlinge, sind Polizisten und Nachbarn, und Brock ahnt früh, warum die beiden Männer ihren Kollegen, der angeblich seinen Sohn erschlagen hat, regelrecht zur Strecke bringen wollen. Tatsächlich scheint es die halbe Polizei von Wien auf Reiser abgesehen zu haben. Mutig begibt sich Brock zwischen die Fronten, weil auch seine Tochter Petra (Sabrina Reiter) von den Ereignissen betroffen ist, und der Film lässt keinen Zweifel daran, dass der Psychiater diesen Mut teuer bezahlen wird.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Finsternis der Handlung spiegelt sich auch in der Bildgestaltung sowie der betont farblosen Ausstattung wieder: Viele Passagen von "Wut" spielen im Dunkeln, einige sogar buchstäblich bei Nacht und Nebel. Die herausragende Bildgestaltung besorgte wie in allen Filmen der Reihe David Slama. Gerade sein Umgang mit Licht und Schatten ist große Kamerakunst. Oft sind die Beteiligten nur schemenhaft zu erkennen, weshalb nicht immer klar auszumachen ist, wer die wenigen Guten und wer die die Bösen sind. Auch das ist Teil des Konzepts: Die Polizei ist bis auf die Knochen korrupt, wie es einmal heißt; der einzige, dem Brock noch traut, ist Kommissar Mesek (Juergen Maurer), der ihn auch diesmal wieder – " Wir haben hier eine Situation" – um Hilfe bittet, weil Reiser versucht hat, den Psychiater anzurufen. Clou der Geschichte ist jedoch die Anknüpfung an den Reihenauftakt aus dem Jahr 2011, der im Nachhinein den Titel "Das Verhör" bekommen hat. Damals hatte Petra das Trauma erlitten, das sie nun wieder einholt, und Brock hatte einen leitenden Beamten (Erwin Steinhauer) hinter Gittern gebracht, der ihm nun bei einem Besuch im Gefängnis klarmacht, dass er keine Chance hat: weil er allein gegen alle steht.
Es gibt ein paar Momente der Entspannung, wenn sich Brock von seinem mittlerweile zum Taxifahrer umgeschulten früheren Kaffeehauswirt Tauber (Gerhard Liebmann) durch die Stadt kutschieren lässt und sie nach Feierabend auch mal gemeinsam einen Joint rauchen. In diesem Augenblick, als Prochaska den beiden sogar eine heimelige Lichtinsel gönnt, könnte sich der verschlossene Psychiater ein bisschen öffnen, aber Heino Ferch vermittelt nicht nur mimisch, sondern auch körpersprachlich, dass Brock die Redseligkeit Taubers eher lästig ist. Umso ungewöhnlicher sind die verschiedenen Kurzreferate, die der sonst so wortkarge Brock mehrmals hält, um unter anderem seiner Tochter zu erklären, dass sie eine veritable Panikattacke erlitten hat. Aber eigentlich hält er diesen Vortrag sich selbst: weil ihn Petras Erlebnis auf die eigentliche Spur bringt. Die Rolle des Schweigers kommt diesmal Tobias Moretti zu, der in den ersten zwei Dritteln des Films praktisch keinen Dialog hat. Zunächst gilt das Interesse der Jäger nur Reiser, der als Bezirksinspektor das betuchte Viertel, in dem die beteiligten Polizisten über ihre eigentlichen Verhältnisse leben, wie seine Westentasche kennt und die Rollen bei der Jagd immer wieder vertauscht; aber dann gerät Brock ins Visier der Jäger. Ambrosch und Prochaska ist mit "Wut" auch dank der elektronischen Musik (Matthias Weber) ein fesselnder Polizeifilm gelungen, der die ohnehin herausragende Reihe noch mal auf ein höheres Niveau hebt.