Dass an der Mehrzahl der Filme Kennels bevorzugte Kamerafrau Nathalie Wiedemann beteiligt gewesen ist, dürfte daran großen Anteil haben. Auf der anderen Seite sind trotz des festen Personals vor und hinter der Kamera keinerlei Abnutzungserscheinungen zu erkennen, im Gegenteil: Dank der wechselnden Autoren ergeben sich auch zwischen den Ermittlern immer wieder neue spannende Entwicklungen. Das betrifft diesmal vor allem den Chef: Arne Brauner (Martin Brambach), trockener Alkoholiker, hat einen Rückfall, baut einen nächtlichen Unfall und erkauft sich das Schweigen des anderen Autofahrers mit tausend Euro. Dies ist der erste großartige Einfall des Autorenduos Daniel Schwarz und Thomas Schwebel, denn wenig später wird ein Mann festgenommen, der angeblich seinen achtjährigen Sohn ermordet hat. Eigentlich hat dieser Jürgen Lohmann (Hinnerk Schönemann) das beste Alibi, das man sich wünschen kann, denn er war Braunes Unfallgegner; doch der würde mit dem entsprechenden Geständnis seine Karriere aufs Spiel setzen und zieht es vor zu schweigen.
Schon allein dieses Dilemma sorgt für eine enorme subtile Spannung und gibt dem wunderbaren Martin Brambach die Gelegenheit, der sonst meist väterlich-freundlichen Figur des Revierleiters neue Facetten abzugewinnen. Davon abgesehen stehen natürlich auch die anderen Mitglieder des Teams unter enormem Druck, zumal Schwarz und Schwebel für einen zweiten Knüller sorgen: Während Winter & Co noch überzeugt sind, mit Lohmann, der acht Jahre zuvor wegen eines ähnlichen Falls angeklagt war, den richtigen Täter zu haben, erlebt dessen am Boden zerstörte Ex-Frau (Marie Leuenberger) bei der Identifizierung des Leichnams einen weiteren Schock: Der tote Junge ist nicht ihr Sohn. Nun müssen die angesichts dieses furchtbaren Fehlers konsternierten Ermittler wieder von vorn anfangen: Bei der Suche nach dem kleinen Sascha kommt es angesichts nächtlicher Temperaturen von bis zu minus 15 Grad auf jede Minute an. Dank der internationalen Vernetzung finden sie zwar recht rasch raus, um wen es sich bei dem toten Jungen handelt, den Kinder im Sandkasten eines Spielplatzes gefunden haben; aber es gibt keinerlei Anhaltspunkte, wer sein Mörder ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die fast skandinavisch anmutende Bildsprache, auch das ein Merkmal der Reihe, ist mindestens so faszinierend wie die ausgezeichnete Führung der exzellenten Darsteller. Allein die Tatsache, dass ein gefragter Schauspieler wie Hinnerk Schönemann in einer vergleichsweise kleinen Rolle mitwirkt, ist ein klarer Hinweis auf den guten Ruf von "Unter anderem Umständen". Auch Ingo Naujoks hat einen markanten Gastauftritt. Trotz des eindrucksvollen Ensembles und des herausragenden Handwerks: Letztlich ist es naturgemäß die Geschichte, die den Film so faszinierend macht, zumal Schwarz und Schwebel immer wieder unerwartete Überraschungen zu bieten haben.