"Dutschke"-Hauptdarsteller Christoph Bach ist ohnehin prädestiniert für ungewöhnliche Rollen; es kann also kaum etwas schiefgehen bei diesem Projekt. Andererseits sind die Berliner "Tatort"-Beiträge mit dem Duo Mark Waschke und Meret Becker schon öfters an großen Erwartungen gescheitert: zum einen, weil anfangs die horizontal erzählte Geschichte über den angeblich mit dem organisierten Verbrechen verbandelten Karow viel spannender war als die aktuellen Fälle; und zum anderen, weil das unaufgeräumte Privatleben von Kollegin Rubin regelmäßig eine lästige Ablenkung war.
Derlei droht nach einem ungewöhnlich brutalen Prolog, in dem Mann halbtot geprügelt wird, auch hier: Der erste Auftritt der Kommissarin gilt einer familiären Angelegenheit; offenbar hat sie großen Ärger mit ihrem erwachsenen Sohn. Zum Glück bleibt dies eine Episode; mit Ausnahme einer kurzen späteren Szene, als sie den Jungen zufällig beim Kauf von Drogen beobachtet, konzentriert sich das Drehbuch (Michael Comtesse, Matthias Tuchmann) fortan ausschließlich auf den Fall. Das ist auch gut so, denn der ist derart ungewöhnlich, dass er die volle Aufmerksamkeit verdient: In einem Transporter wird eine zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche entdeckt. Weil es in letzter Zeit einige ganz ähnliche Morde gegeben hat, tippt Karow auf organisierte Kriminalität, doch die Opfer waren völlig harmlos. Allerdings hatten sie eins gemeinsam: Sie verdankten ihre Existenz der Berliner "Kinderwunschklinik". Deren Leiterin wäre wegen ihrer umstrittenen Zeugungsmethoden einst beinahe bei einem Bombenanschlag gestorben. Täter war ein verwirrter 16-Jähriger, der in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Dieser Jugendliche ist heute ein verschrobener, aber offenbar harmloser Mann, der in einer U-Bahn-Station einen Schlüsseldienstladen betreibt. Wenn nichts los ist, diktiert er ominöse Botschaften in einen alten Recorder. Die entsprechenden Kassetten deponiert er von Zeit zu Zeit in einem Stromkasten. Weil der Mann zuvor für die U-Bahn-Sicherheit gearbeitet hat, kennt er nicht nur jeden Winkel in der Unterwelt, er hat auch die Schlüssel Für Türen, von deren Existenz außer ihm vermutlich kaum jemand weiß. Die Szenen, in denen sich Regisseur Florian Baxmeyer darauf beschränkt, diesen seltsamen Zeitgenossen zu beobachten, gehören zu den stärksten des Films: Der Typ ist ein einziges Rätsel. Und das wird noch größer, als sich Karow mit Hilfe eines Tricks sein Vertrauen erschleicht und rausfindet, dass der Mann die Anweisungen einer übergeordneten Instanz ausführt. Dieser "Legat" hat ihm nicht nur seinen Namen gegeben, Harbinger, sondern ihm auch aufgetragen, bestimmte Menschen zu observieren und zu entführen. Schockiert stellt Kommissarsanwärterin Anna Feil (Carolyn Genzkow) fest, dass ihr Name ebenfalls auf der Liste steht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Baxmeyer, der seit Jahren als Stammregisseur beim "Tatort" aus Bremen regelmäßig gute Arbeit leistet, inszeniert "Dein Name sei Harbinger" als düsteren Krimi, der sich gelegentliche Anleihen beim modernen Horrorgenre leistet. Dank der vorzüglichen und sichtbar aufwändigen Bildgestaltung (Eva Katharina Bühler) stellt sie gerade bei den Szenen in der Unterwelt eine ganz spezielle Stimmung her. An anderer Stelle sorgen schlichte kleine Schreckmomente für große Wirkung, etwa, als sich Harbinger unter einem Vorwand Zutritt zu Annas Wohnung verschafft. Die junge Frau führt gerade ein Videogespräch mit ihrer Mutter, die aus der Ferne wahrnimmt, dass hinter ihrer Tochter irgendwas vor sich geht. Ähnlich clever ist ein kleines Spiel mit Schein und Sein, das der Film erst am Ende auflöst: Harbinger steht einem Blumenmädchen (Luise Aschenbrenner) bei, als sie von seinem Freund attackiert wird. In dieser Szene fällt auch der Schlüsselsatz des Films: "Du hast die freie Wahl - und entscheidest dich für Selbstunterdrückung." Was dieser Satz tatsächlich bedeutet, wird ihm erst viel später klar, als Karow in die Gewalt des "Legaten" geraten ist. Wenn sich der Kommissar nicht immer wie ein Elefant im emotionalen Porzellanladen aufführen würde, wäre ihm beim Finale sicher eine noch größere Anteilnahme sicher; selbst wenn es ziemlich cool wirkt, wie er sogar im Angesicht des Todes noch eine große Klappe hat. Das Ende ist schließlich genauso traurig wie der Walzer aus Tschaikowskys "Dornröschen", mit dem die letzten Bilder unterlegt sind.