TV-Tipp: "Über die Grenze: Alles auf eine Karte" (ARD)

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TV-Tipp: "Über die Grenze: Alles auf eine Karte" (ARD)
7.12., ARD, 20.15 Uhr
Solche Drehbücher schreibt hierzulande sonst nur Holger Karsten Schmidt: "Alles auf eine Karte", der erste von zwei neuen Donnerstagskrimis im badisch-elsässischen Grenzgebiet, ist ein knallharter Thriller mit mehreren Exekutionen, einer Entführung und einer Vergewaltigung.

Das Opfer ist ausgerechnet die Tochter eines leitenden Mitglieds der deutsch-französischen Einheit GZ, die grenzübergreifende Verbrechen bekämpft. Ohne lange Vorgeschichte stürzen die beiden Autorinnen Felice Götze und Sabine Radebold ihre Heldin und damit auch die Zuschauer in ein Abenteuer, das für die Hauptfigur zum grausamen Erlebnis wird. Wer dank Donnerstagsreihen wie "Bozen-Krimi", "Kommissar Dupin" oder den Donna-Leon-Adaptionen einen vergleichsweise gemütlichen Film erwartet, wird verstört das Weite suchen: Was Action, Brutalität und Spannung angeht, entspricht der Auftakt zu "Über die Grenze" eher den Parametern von ARD-Samstags-Thrillern wie den Craig-Russell-Verfilmungen mit Peter Lohmeyer ("Wolfsfährte", "Blutadler", "Brandmal"); dagegen sind die anderen harmlose Blümchenkrimis.

Der Film beginnt mit der Aufnahme einer jungen Frau im Auto und schildert dann – "Zwei Tage vorher" –, warum sie so mitgenommen wirkt. Dieses Erzählmuster mit langer Rückblende ist nicht nur abgenutzt, es raubt der Geschichte auch etwas von ihrer Spannung: weil es vorwegnimmt, dass die Hauptfigur überlebt. Andererseits macht sich Regisseur Michael Rowitz, für den dieser Stoff nach Arbeiten wie "Hotel Heidelberg" oder "Mit Burnout durch den Wald" eher ungewöhnlich ist, die Diskrepanz zunutze: Zu Beginn der Rückblende ist Leni (Anke Retzlaff) eine fröhliche, unbeschwerte junge Frau, die frisch von der Ausbildung ins GZ kommt. Ihr Vater Steffen Herold (Thomas Sarbacher), der deutsche Leiter des Teams, hat sie zu sich geholt, um ein Auge auf sie zu haben. Die Einheit observiert die Verbrecher Marquardt und Jangy (Sebastian Hülk, Rick Okon), die schon mehrere Überfälle begangen und sich dann stets über die Grenze abgesetzt haben. Als Leni einen Peilsender am Auto der Ganoven anbringt, wird sie von Jangy erwischt und kann sich so gerade noch rausreden. Kurz drauf stellen die Polizisten dem Duo eine Falle, aber weil Marquardt ein komisches Gefühl hat, berauben die beiden nicht wie geplant eine Bank, sondern ein wenige hundert Meter entferntes Wettbüro; und dort löst Leni gerade einen Wettschein ein.

"Fick dich, du Fotze" ist der erste Satz dieses Films und ein treffender Vorgeschmack auf die weiteren neunzig Minuten. Am Ende werden die gleichen Wörter auch den grimmigen Schlusspunkt markieren. Dazwischen erzählen Buch und Regie eine Geschichte, die sich nur wenige Momente der Entspannung gönnt: Als die Polizei den Tatort einkreist, nehmen die Gangster Leni als Geisel. Der unberechenbare Marquardt schießt einem von Herolds Männern in den Kopf, dann hauen die Verbrecher ab. Weil sie das Fluchtauto gegen den Wagen mit dem Peilsender tauschen, wissen Herold und seine Truppe, wo sie hinfahren; bis Jangy die junge Polizistin wiedererkennt und den Tracker entfernt. Nun ist die Leni auf sich allein gestellt und versucht, das Spiel der beiden mitzuspielen. Die drei besuchen eine Disco, tanzen, trinken, schnupfen Kokain und wirken wie gute Freunde, die großen Spaß miteinander haben. Das bittere Ende folgt am nächsten Morgen, erst für Leni, dann für Jangy.

Nicht nur die drastische Story, auch die Machart unterscheidet "Alles auf eine Karte" deutlich von allen anderen Krimireihen, die die ARD-Tochter für den Donnerstag produzieren lässt (diesmal in Zusammenarbeit mit dem SWR). Das gilt vor allem für die Bildgestaltung, weil Stefan Unterberger mit seiner agilen Kamera zuweilen an die Grenze des Erträglichen geht. Gerade in den Actionszenen vermitteln nicht nur die schnellen Schnittpassagen, sondern auch die vielen gerissenen Schwenks und die ruckigen Zooms ungemein viel Dynamik und Unruhe; deshalb passt diese Form der Bildsprache auch überhaupt nicht zu den eher ruhigen Szenen, in denen sie aber auch nur gelegentlich zum Einsatz kommt. Erzähltempo und optischer Aufwand sind ohnehin enorm, ständig wechseln die Schauplätze; die Thriller-Musik von Helmut Zerlett sorgt für die passende Untermalung. Verschiedene Szenen verdeutlichen den Anspruch der Verantwortlichen, einen Film zu produzieren, der aus dem Rahmen fällt. Am verblüffendsten in dieser Hinsicht ist eine zufällige Begegnung zwischen Herold und Danne auf einer Autobahnraststätte. Beide greifen nach ihren Waffen, es kommt zu einer Schlägerei, bei der der Polizist den Verbrecher halbtot prügelt, Leni läuft dazu, Schüsse fallen – und dann kehrt die Szene zurück zum Ausgangspunkt; die beiden prügeln sich nicht, sondern reden miteinander.

Ungewöhnlich ist "Alles auf eine Karte" aber nicht nur wegen der Handlung und ihrer Umsetzung, sondern auch wegen des großen Ensembles, zumal für die interessantesten Figuren angemessen spannende und attraktive Darsteller gefunden wurden; allen voran Philippe Caroit als Herolds einstiger Partner, der gemeinsam mit ihm die Verfolgung der Entführer aufnimmt. Ähnlich reizvoll ist die Rolle von Herolds französischem Pendant Ségolène Combass (Noémie Kocher); die Kollegin entbindet Herold von der Einsatzleitung, als sie erfährt, wer das Entführungsopfer ist. Auch die weiteren GZ-Mitglieder sind zwar nicht prominent, aber markant und sympathisch besetzt, was wichtig ist, weil Rowitz die junge Gruppe wie ein sportliches Team inszeniert, das sich nach Erfolgen abzuklatschen pflegt. Die interessanteste Konstellation ist trotzdem die Kombination Vater und Tochter, zumal sie viel Potenzial für weitere Geschichten enthält. Dass sich die unbekümmerte Leni äußerst unprofessionell verhält, ist zwar etwas unglaubwürdig, passt aber zur ihrem Motiv, warum sie zur Polizei wollte: "um was zu erleben". Ob sie noch mehr erlebt als nur den nächsten Fall ("Gesetzlos", 14. Dezember), wird die Degeto nach der Ausstrahlung der ersten beiden Filme entscheiden. Sollte es nicht dazu kommen, wäre das ausgesprochen schade, zumal Thomas Sarbacher erneut beweist, warum er als deutsche Antwort auf Tommy Lee Jones gilt.