Ermittlerin ist eine Enthüllungsjournalistin: Doro Kagel (Felicitas Woll) wird von der Mutter ihrer einstigen Mitschülerin Leonie gebeten, einen zwei Jahre zurückliegenden Fall aufzurollen. Leonie (Jasmin Schwiers) hat sich damals in den Kopf geschossen und liegt seither im Koma. Vor ihrem Suizidversuch hat sie angeblich einen Mann, dessen kleine Tochter und die Haushälterin ermordet.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Drehbuch (Sven Poser, Britta Stöckle) basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Eric Berg. Sein Buch spielt auf der Ostseeinsel Hiddensee; der Schauplatz hat einen nicht unwesentlichen Anteil an der leicht mystischen Atmosphäre des Romans. Das nutzt auch der Film: Als Doro auf die Insel fährt, betritt sie eine andere Welt; und das nicht nur des dichten Nebels wegen. In vielen zum Teil clever kombinierten Parallelmontagen erzählt "Das Nebelhaus", was sich damals zugetragen hat und wie die Journalistin die Ereignisse rekonstruiert. Doro findet raus, dass die Schulfreundin offenbar erhebliche psychische Probleme hatte, die schließlich bei einem Treffen eskaliert sind: Leonie, Timo (Lucas Prisor) und Jasmin (Oona von Maydell) besuchen ihren Freund Philipp (Matthias Weidenhöfer). Die vier haben sich lange nicht mehr gesehen, aber Leonies Liebe zu Timo ist immer noch unverändert groß; viel zu groß aus seiner Sicht. Als er sie nicht nur erneut zurückweist, sondern auch noch was mit Philipps Frau (Nadeshda Brennicke) anfängt, brennt bei Leonie, die mit einer Pistole in der Tasche auf die Insel gekommen ist, eine Sicherung durch. Durch einen gewalttätigen Vater traumatisiert, in der Schule gemobbt, dazu unerwiderte Liebe, Eifersucht und Weltschmerz: Diese Gefühlsmelange führt schließlich zur Tragödie; aber die Dinge haben sich komplett anders zugetragen, als sie vor Doros geistigem Auge beim Rundgang durch Philipps Haus ablaufen. Je mehr Details die Journalistin aufdeckt, desto undurchsichtiger wird die Sache, zumal es Menschen gibt, die ihre Nachforschungen sabotieren wollen. Am Ende weiß sie nicht mehr, wem sie noch trauen kann.
Für Sat.1-Verhältnisse ist "Das Nebelhaus" mit sichtbar großen Aufwand entstanden, und das nicht nur wegen des vielköpfigen und sorgfältig zusammengestellten Ensembles. Gerade in der Bildgestaltung (Kamera: Cristian Pirjol) steckt erkennbar viel Arbeit. Das Drehbuch reduziert die komplexe Vorlage keineswegs aufs Thrillermuster; ein Nebenstrang führt sogar zurück ins Kambodscha der Siebzigerjahre, als Hunderttausende Opfer der blutigen Terrorherrschaft der Roten Khmer wurden. Für Garde, Regisseurin einiger sehenswerter "Tatort"-Episoden aus Kiel und des sehenswerten Psychodramas "Die Frau am Ende der Straße", ist das ein ziemlich ungewöhnlicher Stoff; die ARD hat erst kürzlich ihren Film "Eine gute Mutter" gezeigt. Aber sie hatte offenbar große Freude daran, den Krimi mit vielen Thriller-Merkmalen auszustatten und diese dann auch noch mit entsprechenden musikalischen Ausrufezeichen zu versehen, weshalb sich der Nebel gleich zu Beginn selbst in der Tiefgarage von Doros Redaktionsgebäude breit macht.
Die Umsetzung mag im Vergleich etwa zu einem ZDF-Montagsfilm effekthascherisch anmuten, doch das ist der Stil dieses Films, zumal die Plakativität wichtiger Teil des optischen Erscheinungsbildes ist: Die Rückblenden sind zunächst hell und freundlich, die Gegenwart dagegen düster und unwirtlich. Das gilt auch für den Schauplatz: Das "Nebelhaus", das seinem Namen alle Ehre macht, ist von außen ein düsterer Kasten, entpuppt sich in der Rückblende jedoch als heimeliges Refugium; bei Doros Besuch wirkt es hingegen wie eine Gruft. Weil die Musik von Colin Towns, dessen Kompositionen auch die "Usedom"-Krimis prägen, permanent wie eine akustische Nemesis hinter den Bildern lauert, hat sich Gardes erster Ausflug ins Privatfernsehen filmisch auf jeden Fall gelohnt.