Es gibt keinen Prolog, keine Einführung, keine Erklärungen, man ist gleich mittendrin; und entsprechend orientierungslos. Für einen Fernsehfilm ist das durchaus mutig, und zwar nicht nur, weil es eine Weile dauert, bis man die Handlung einigermaßen durchblickt. Auch bei den vier Protagonisten weiß man lange nicht, wer die Guten und wer die Bösen sind; niemand identifiziert sich gern mit einer Figur, die sich am Ende als Mörder entpuppt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Hintergrund, das wird etwa zur Hälfte des Films deutlich, geht es um internationalen Waffenhandel, aber das ist letztlich nur Mittel zum Zweck. Entscheidender ist das komplizierte Beziehungsgeflecht zwischen den vier einander belauernden Hauptfiguren, die bloß auf einen Fehler des anderen warten. Weil es der Film tunlichst vermeidet, sich auf eine Seite zu schlagen, bezieht die Geschichte ihren Unerhaltungswert aus der Ungewissheit, worauf das alles hinausläuft und wer hier mit wem unter einer Decke steckt.
Bei Geschonnecks Film "Der Verdacht" ist das Kalkül nur bedingt aufgegangen. Hier funktioniert es wesentlich besser, was nicht zuletzt am Drehbuch liegen dürfte. Es stammt von Hannah Hollinger, die seit vielen Jahren Filmen mit Geschonneck zusammenarbeitet. Die Seelenverwandtschaft von Autorin und Regisseur hat schon zu diversen bemerkenswerten Werken geführt (zuletzt "Entführt" und "Hinter blinden Fenstern"). Gerade die mosaikhafte Konstruktion und der Mut, dass jede Antwort weitere Fragen aufwirft, machen den großen Reiz des Films aus. Und natürlich die vier Hauptdarsteller, ausnahmslos und sehr clever mit Sympathieträgern besetzt. "Wir wollten einen besonderen Film über das Spiel des Bösen machen", sagt Hollinger über "Tod in Istanbul". Und fügt hinzu, es habe ihr ungeheuren Spaß bereitet, dieses Buch zu schreiben. Das merkt man.