Eine Lösegeldübergabe ist gescheitert, der entführte Säugling Baby ist nie wieder aufgetaucht. Als ein weiteres Kind entführt wird und die Umstände keinen Zweifel daran lassen, dass es sich um den gleichen Täter handelt, überschreitet Brühl die Grenzen seiner physischen und psychischen Belastbarkeit, um den Fall lösen.
Das erheblich angeschlagene Seelenleben des Kommissars ist aber nur die eine Seite des Drehbuchs von Christoph Darnstädt und Annette Simon. Auf der anderen geht es ums Dasein als Eltern, und zwar in Theorie und Praxis. Caroline Schäfer (Anja Kling), die Mutter der knapp zwei Jahre alten Pauline, ist eine bekannte Fernsehmoderatorin, die nicht viel Zeit für Kind hat und ihr schlechtes Gewissen in dem Spiegel sieht, den ihr die Freunde vorhalten. Der Kidnapper hat das Mädchen aus seinem Bett genommen und eine Puppe hineingelegt; Caroline betrachtet dies als Botschaft, dass sie keine Kinder verdient habe. Ihr Gegenstück ist die Entführerin (Silke Bodenbender), deren Motive der Film lange offen lässt; allerdings wird trotz einer Lösegeldforderung recht bald klar, dass es der Frau nicht ums Geld geht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Wiesnekkers Leistung überstrahlt beinahe zwangsläufig alle anderen, weil er die mit Abstand interessanteste figur voerkörpert, aber auch die weiteren Mitwirkenden sind nicht minder vorzüglich, zumal auch die Nebenrollen mit unter anderem Michael Schenk und Magnus Krepper ausgezeichnet besetzt sind. Eine besondere Rolle spielt dabei Dario Prodoehl, ein Junge mit Trisomie 21, der schließlich zum Helden der Geschichte wird; neben Brühl natürlich. Der Film könnte auch "Der gute Bulle" heißen, aber diesen Titel trug erst kürzlich ein anderer ZDF-Krimi, und auch darin ging es um einen Berliner Polizisten, der beinahe davon besessen war, einen Kidnapper und Mörder zur Strecke zu bringen. Buch und Regie haben ein interessantes Bild gefunden, um die Dämonen zu illustrieren, unter denen Kommissar Brühl leidet: Immer wieder kreuzen Krähen sein Weg. Bei der ersten Begegnung zerfleddern sie im Garten von Familie Schäfer eine tote weiße Taube; ein plakatives, aber treffendes Bild dafür, wie es um seinen inneren Frieden bestellt ist. Die Vögel spielen auch bei einer faszinierend kafkaesken und dank der Bildgestaltung (Markus Hausen) beinahe surrealen Szene eine Rolle, als der Beamte auf der Suche nach einem Ausgang durch eine Klinik irrt; schließlich landet er am Bett einer Gebärenden, die seine Hand ergreift und nicht mehr loslässt. Dass sich Brühl überhaupt in dem Krankenhaus aufhält, hat mit einem gewaltigen Holzweg zu tun, auf den sich die Ermittler verirrt haben. Im schönen lakonischen Epilog, als der auch dank des nasskalten Herbstwetters recht ungemütliche Film und mit ihm die Hauptfigur im Grunde zum ersten Mal zur Ruhe kommen, haben die Krähen quasi das letzte Wort, aber sie haben keine macht mehr über Brühl.