Christen müssen sich einmischen, fordert Landesbischof Gerhard Ulrich: Es könne ein "Verrat am Evangelium" sein, "wenn wir uns zu sehr heraushalten, nicht radikal auf die Konsequenzen verweisen, die das Evangelium herausfordert", sagte der Leitende Geistliche der VELKD in seinem Bericht vor der lutherischen Generalsynode. Das Evangelium könne nie unpolitisch sein und verkündigt werden, betonte der Landesbischof. Die Frage, wie politisch die Kirche sein dürfe, sei "kleingeistig und verzagt".
Am 9. November, 79 Jahre nach der Reichspogromnacht 1938, machte Ulrich noch einmal deutlich: "Christlicher Glaube und Judenfeindlichkeit schließen einander aus" – und christlicher Glaube schließe auch grundsätzlich "jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus". Die Kirche habe eine öffentliche Verantwortung, "das Wort zu erheben und einzuschreiten": "Unsere christlicher Glaube und unserer demokratische Kultur verpflichten uns, uns allen rassistischen und antisemitischen Tendenzen entgegen zu stellen." Gegen Antisemitismus hatten VELKD, UEK und EKD vor der Synodentagung eine überarbeitete Broschüre veröffentlicht.
In seinem Bericht warb Bischof Ulrich immer wieder für Vielfalt: "Wir brauchen die Auseinandersetzung – nicht die Abgrenzung." Er berichtete von seinen Erlebnissen aus dem Reformationsjubiläumsjahr, unter anderem von den Feiern in Wittenberg und von der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Windhuk (Namibia). "Wir leben in einer Gesellschaft, in der Vielfalt zum Merkmal wird", sagte Ulrich. Den Menschen, denen diese Vielfalt Angst mache, dürfe man keine einfachen Antworten versprechen, "einfache Antworten, die es nicht geben kann, auch wenn Populisten dies immer wieder versprechen". Den Abgeordneten der AfD, die aus den drei Bundesländern der Nordkirche in den Bundestag einziehen, habe er einen Brief geschrieben und sie darauf hingewiesen, dass die Kirche ihre Stimme erheben werde, "wenn dieser Grundsatz des christlichen Glaubens – die Absage an jede Form von Diskriminierung – berührt ist".
Im Rückblick auf das Reformationsjubiläum freute sich Bischof Ulrich darüber, dass es an vielen Stellen gelungen sei, Menschen den Kern des Reformationsanliegens nahezubringen, "die bis dahin wenig Berührung hatten mit unserer Kirche". Die Wiederentdeckung der Kraft des Evangeliums" und die Betonung der Mitte unseres Glaubens sah Ulrich als "eine große missionarische Chance", die 2017 oft und gut genutzt worden sei. Ulrich dankte ausdrücklich der wissenschaftlichen Theologie dafür, dass die "Themen und Fragestellungen" aus 2017 auch nach dem Jubiläumsjahr die Kirche noch lange begleiten und herausfordern werde.
Als Teil der weltweiten Lutheraner blickte Ulrich auch über Deutschlands Grenzen hinaus. Man dürfe nicht vergessen, "dass unsere Art zu leben Auswirkungen hat auf die übrigen Teile der Welt". Friede und Gerechtigkeit weltweit könnten nicht erreicht werden, so lange die Globalisierung "ein Segen nur für einen Teil der Welt ist".
Das neue gemeinsame Kirchenamt von VELKD, UEK und EKD – das so genannte Verbindungsmodell – hat den Leitenden Bischof ebenfalls beschäftigt. Die konkrete Umsetzung der neuen Struktur beginnt am 1. Januar 2018. In dem Zusammenhang wird dann auch das Deutsche Nationale Komitee des Lutherischen Weltbundes (DNK/LWB) aus dem Kirchenamt in Hannover ausziehen, weil es nicht Teil des Verbindungsmodells ist. DNK/LWB und VELKD werden aber weiter eng zusammenarbeiten, kündigte Ulrich an.
Ende März 2019 wird Gerhard Ulrich als Landesbischof in den Ruhestand treten. Sollte er am Abend erneut zum Leitenden Geistlichen der VELKD gewählt werden, würde er nur ein weiteres Jahr bis zur Generalsynode 2018 zur Verfügung stehen. Regulär wird der Leitende Geistliche auf drei Jahre gewählt.