Lars Kraume, der auch schon die Dengler-Fälle "Die letzte Flucht" und "Am zwölften Tag" adaptiert und inszeniert hat, stand angesichts der Komplexität der Vorlage vor einer Herausforderung, die womöglich noch größer war als bei anderen Literaturverfilmungen: Er musste die enorme Informationsfülle reduzieren, ohne dem Stoff seine Brisanz zu nehmen oder in die Verschwörungsfalle zu tappen; gleichzeitig sollte der Film natürlich auch ein packender Thriller werden. All’ das ist ihm gelungen, auch wenn zwangsläufig viele von Schorlaus Nebensträngen auf der Strecke bleiben; komplett gestrichen ist zum Beispiel die Verstrickung amerikanischer Geheimdienste. Auf der anderen Seite hat der für "Guten Morgen, Herr Grothe" und "Der Staat gegen Fritz Bauer" vielfach ausgezeichnete Regisseur die Vorlage gerade angesichts des großen Empörungspotenzials vergleichsweise sachlich adaptiert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Basis der Geschichte ist die "Honeypot"-These: Um die Rechtsextremisten in Thüringen besser überwachen zu können, hat der Verfassungsschutz nach der Wende mit viel Geld organisierte Strukturen für Neonazis geschaffen. Beim Trio Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe ist das Vorhaben gründlich gescheitert: Der "NSU" verschwand im Untergrund und somit vom Radar. Offen ist bis heute allerdings, inwieweit die Staatsschützer auch weiterhin über die Aktivitäten des Trios und möglicher Helfershelfer informiert waren und welche Rolle der Verfassungsschutz beim tödlichen Finale am 4. November 2001 gespielt hat. Der Film konzentriert sich auf die Ereignisse dieses Tages, als Mundlos und Böhnhardt angeblich eine Sparkassenfiliale in Eisenach überfallen und kurz drauf nach der Entdeckung durch die Polizei in einem Wohnmobil Selbstmord begangen haben. Nachdem seine Hacker-Freundin Olga (Birgit Minichmayr) die Ermittlungsakten vom BKA-Server geklaut hat, rekonstruiert Dengler (Ronald Zehrfeld) im Auftrag eines geheimnisvollen Auftraggebers in einer leeren Fabrikhalle gemeinsam mit Olga und dem Thüringer LKA-Beamten Markus Brauer (Tom Wlaschiha) den Ablauf den rätselhaften Suizids. Dabei stoßen die drei auf derart viele Pannen und Schlampereien, dass schon allein die schiere Menge einen Vorsatz geradezu aufdrängt.
Ähnlich wie Schorlau lässt Kraume keinerlei Zweifel aufkommen, dass ausgerechnet jene Organe, die den Staat schützen sollen, eine Menge Dreck am Stecken haben. Der Film legt nahe, dass Mundlos und Böhnhardt längst tot waren, als sie sich angeblich erschossen haben. Brauer merkt als Advocatus Diaboli zwar immer wieder mal an, es könne auch andere Erklärungen für die diversen Widersprüche geben, aber da Kraume die Geschichte konsequent aus Denglers Sicht erzählt, hat der Privatermittler quasi die Deutungshoheit; selbst wenn Ronald Zehrfeld den Detektiv auf eine Weise verkörpert, die ihn keineswegs rundum sympathisch erscheinen lässt. Außerdem ist er wie besessen von der Suche nach der Wahrheit. Auch dafür gibt es eine Erklärung: Nach dem Nagelbomben-Attentat des "NSU" 2004 in Köln verkündeten die Behörden, es handele sich definitiv nicht um einen rechtsterroristischen Anschlag. Dengler, damals noch Zielfahnder beim BKA, hielt das für voreilig. Als er weiter ermitteln wollte, wurde er kaltgestellt und beendete schließlich sein Dienstverhältnis.
Im Gegensatz zum obsessiven Ex-Kollegen ist Brauer mit seinen alternativen Interpretationsansätzen so etwas wie die Stimme der Vernunft, aber Dengler erstickt seine Einwände im Keim. Dass die beiden Männer mehrfach lautstark streiten, hätte trotzdem nicht sein müssen; davon abgesehen ist Tom Wlaschiha mit seiner ähnlich maskulinen Ausstrahlung eine gute Ergänzung zu Ronald Zehrfeld. Eigentlicher Gegenspieler des Detektivs ist jedoch sein früherer Chef beim BKA; Rainer Bock ist jedes Mal aufs Neue unangenehm gut in seiner Paraderolle als finsterer Bürokrat. Interessant ist auch die prominente Besetzung der titelgebenden "Schützenden Hand", eine kleine, aber wichtige Rolle: Im dritten Teil der "NSU"-Trilogie "Mitten in Deutschland" ("Die Ermittler") hatte Ulrich Noethen den Leiter des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz mit großer Selbstgefälligkeit versehen; ZDF-Sympathieträger Leonard Lansink ("Wilsberg") verkörpert den Mann mit eisiger Kälte. Ein kleiner Knüller ist schließlich auch die Identität des Auftraggebers.
Wer das Buch oder die Details der "NSU"-Geschichte nicht kennt, wird von der überwiegend verbal vermittelten Faktenfülle möglicherweise überfordert sein; schon deshalb war es klug von Kraume, sich auf den Todestag der Terroristen zu konzentrieren. Die entsprechenden Rückblenden sind in dokumentarisch gestaltetem Schwarzweiß gehalten, ein schlichter Kniff, um Authentizität und Echtheit zu signalisieren. Auf aufwändige Action-Einlagen wie in den ersten Filmen hat der Regisseur diesmal völlig verzichtet, und angesichts des brisanten Stoffs wirken die von Birgit Minichmayr ausgesprochen trocken vorgetragenen Kommentare zu den vielen Ungereimtheiten wie heitere Kontrapunkte. Der tödliche Epilog erinnert daran, dass das alles kein Spiel ist.