Das Drehbuch von Stefan Dähnert und Marianne Wendt hat mit der Würdigung einer weiteren von der Geschichtsschreibung vernachlässigten Figur ebenfalls einen interessanten Ansatz zu bieten: Es konfrontiert Luther, der sich in den anderen Verfilmungen vor allem mit den Vertretern der Kirche rumschlagen muss, in Gestalt seines anfänglichen Mitstreiters und späteren Widersachers Thomas Müntzer mit einem Gegenspieler aus den eigenen Reihen. Und noch eins unterscheidet die beiden Werke ganz wesentlich: Der Luther von Dähnert und Wendt ist über weite Strecken ein klassischer historischer Held, aber dann bekommt das filmische Denkmal Risse. Irdische Güter mögen dem Denker gleichgültig sein, doch dafür ist seine intellektuelle Eitelkeit umso ausgeprägter, weshalb die Solidarität von Luther und Müntzer schließlich in Feindschaft umschlägt.
Das ist ein hochinteressanter erzählerischer Ansatz, der in der Geschichte viele Parallelen hat: Luther (Maximilian Brückner) ist zwar ein Reformator, aber auch Realist. Wenn er von Freiheit spricht, dann meint er die religiöse Freiheit, nicht die soziale. Müntzer (Jan Krauter) dagegen ist ein Radikaler. Anders als in "Katharina Luther" spielt der Einfluss der Frauen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Katharina (Frida-Lovisa Hamann) taucht als wirklich handelnde Figur, die Luthers Ansichten kritisch hinterfragt und ihn ein bisschen erdet, ohnehin erst gegen Ende auf. Die Funktion als treibende Kraft hinter einem Mann nimmt bis dahin ihre Freundin Ottilie (Aylin Tezel als Wildfang) ein, auch sie eine geflüchtete Nonne, die den Frühkommunisten Müntzer ("Alles soll allen gehören") darin bestärkt, den Aufstand der Bauern anzuführen. Weil Luther Gewaltfreiheit predigt, wirft Müntzer ihm vor, die Reformation an die Herrschenden verraten zu haben. Es wird kein Zufall sein, dass die Konstellation an die Protagonisten der Zeit nach 1968 erinnert: hier der Marsch durch die Institutionen, dort der Untergrund. Zwischen dem Reformator und dem Revolutionär steht als Dritter im Bunde Andreas Bodenstein (Johannes Klaußner), der vergeblich versucht, als Mediator zu wirken.
Schauspielerisch gibt es Licht und Schatten
All’ das prägt jedoch erst den letzten Akt. Bis dahin erzählt "Zwischen Himmel und Hölle" eine weitgehend bekannte Geschichte mit bekannten Bildern. Das Spätmittelalter von Regisseur Uwe Janson ist exakt so dreckig und finster wie in den meisten anderen Filmen über diese Zeit; vermutlich war es gar nicht so einfach, jeglichen Sonnenschein aus den Aufnahmen herauszuhalten. Und selbstredend gibt es mehrfach Kamerafahrten durch die Kulissen, damit die Sorgfalt der Ausstattung (Ettore Guerrieri) gewürdigt werden kann. Manche Einstellung ist arg klischeehaft, aber das Licht ist mit sichtbarer Sorgfalt gestaltet (Kamera: Michael Wiesweg).
Schauspielerisch gibt es ebenfalls Licht und Schatten. Einige der jungen Ensemblemitglieder sind teilweise nicht kantig genug für ihre Rollen und stoßen an Grenzen, wenn sie die Stimme erheben. Außerdem deklamieren sämtliche Darsteller selbst banale Sätze, als seien ihre Worte in Stein gemeißelt. Ausgerechnet der große Armin Rohde interpretiert den Chefschergen des Erzbischofs genauso schlicht, wie sich die Figur beschreiben lässt: als schurkischen Mann fürs Grobe, der keine Sekunde zögert, Müntzer für seinen Widerstand ans Kreuz zu nageln, und am Ende für seine Missetaten bezahlt. Seine besten Auftritte hat der Dominikaner, wenn er in glühenden Farben und mit Hilfe von allerlei Hokuspokus die Apokalypse ankündigt, damit sich die verängstigen und von Pest und Hunger gebeutelten Menschen noch rasch mit Hilfe eines Ablasses von ihren Sünden und somit der drohenden "Höllenpein" freikaufen; und am besten gleich auch ihre verstorbenen Angehörigen, schließlich braucht der Papst Geld für den Bau des Petersdoms. Wenn sich später im Volk der Unmut breitmacht, trumpfen einige Nebendarsteller auf, als gelte es, im Freilichttheater auch das Publikum in der letzten Reihe noch zu beeindrucken; deshalb erinnert "Zwischen Himmel und Hölle" mitunter ein wenig an "Terra X", das populäre Geschichtsfernsehen im "Zweiten".
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Gerade in der Entzweiung der Kampfgefährten liegt der wichtige Beitrag der ZDF-Produktion zum Luther-Jahr: weil sie verdeutlicht, dass eine Revolution nie nur von einem Einzelnen entfacht werden kann. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Figur, die Fabian Hinrichs mit stiller Souveränität verkörpert: Georg Spalatin, die rechte Hand von Kurfürst Friedrich (Rüdiger Vogler), zieht als graue Eminenz die Fäden. Ohne ihn und Luthers Freund und Förderer, dem Maler, Grafiker und vor allem Verleger Lucas Cranach (der Ältere), so erzählt es der Film, hätte es die Reformation womöglich nie gegeben.
Luthers Botschaft, Religion soll Freude und nicht Angst verbreiten, steht im geistigen Zentrum des Films. Einen für damals wie heutige Zeiten nicht minder revolutionären Satz hat das Autorenduo Ottilie in den Mund gelegt, er fällt fast beiläufig: "Was, wenn die Menschen frei von Religion wären?". Der Glaube wäre dann jedermanns ganz persönliche Angelegenheit; und die Welt vermutlich ein besserer Ort.