Schon seit einigen Jahren ragt aus dem Moskauer Häusermeer wieder ein schlanker Kirchturm heraus, der - keine anderthalb Kilometer vom Kreml entfernt - so ganz anders aussieht als die Zwiebeltürme der orthodoxen Kathedralen. Eine 62 Meter hohe auffällige Kirchturmspitze krönt St. Peter und Paul, die wichtigste Kirche der Moskauer Lutheraner. Zum 500. Jahrestag der Reformation haben die Protestanten in der russischen Metropole doppelten Grund zum Feiern: Das Eigentum an dem zu Sowjetzeiten verstaatlichten Gebäude und einer benachbarten Kapelle geht wieder auf die Kirche über.
"Dieses Ereignis ist für unsere Kirche ein großes Geschenk zum Reformationsjubiläum", sagt Dietrich Brauer. Der erst 34 Jahre alte Erzbischof der russischen Lutheraner spricht von einer "Wiederherstellung historischer Wahrheit". Außerdem werde der Beschluss auch anderen lutherischen Gemeinden in Russland helfen, ihre Gotteshäuser zurückzuerhalten. Womöglich trägt die Zustimmung der russischen Behörden sogar ein wenig dazu bei, die seit der Ukraine-Krise 2014 zerrütteten deutsch-russischen Beziehungen zu verbessern. Frank-Walter Steinmeier nimmt die Rückgabe der Kirche zum Anlass für seinen ersten Moskau-Besuch als Bundespräsident. Dieser findet von Mittwoch bis Donnerstag kommender Woche statt.
KP-Funktionäre wollten Kirchturm angeblich nicht mehr sehen
Tatsächlich gibt es nur wenige Orte in Moskau, an denen die dramatische deutsch-russische Geschichte der vergangenen hundert Jahre so anschaulich wird, wie in der Peter-Paul-Kirche.
Nach der Oktoberrevolution machten die Repressalien der neuen sowjetischen Machthaber den Moskauer Lutheranern jegliches religiöse Leben unmöglich. Der letzte Pastor der Gemeinde, Alexander Streck, wurde 1936 von Stalins Geheimpolizei verhaftet und erschossen. In der entweihten Kirche richtete sich später eine Diafilm-Fabrik ein. Zwischendecken wurden in das Gebäude eingezogen, im Altarraum Kopiermaschinen aufgestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die sowjetischen Behörden die Kirchturmspitze abreißen, angeblich, weil hohe KP-Funktionäre sie nicht mehr von ihren Bürofenstern im Kreml aus sehen wollten.
"Es sah alles ziemlich wüst aus - wie nach einem Krieg."
Als sich nach der Wende Anfang der 90er Jahre wieder eine neue evangelisch-lutherische Gemeinde in Moskau formierte, war die Kirche zunächst gar nicht nutzbar. "Es sah alles ziemlich wüst aus - wie nach einem Krieg", erinnert sich Elena Hettler, die damals zur Gemeinde gehörte, an überall herumliegende Filmrollen und Stapel auf Karton geklebter Fotos. "Damals haben wir gar nicht daran gedacht, dass es einmal auch wieder einen neuen Turm geben könnte."
Wie bei unzähligen anderen Kirchen in Russland wurden den Lutheranern dabei zwar umfassende Nutzungsrechte eingeräumt, rechtlich blieben die Immobilien jedoch weiter im Staatseigentum. Erst 2010 verabschiedete die Staatsduma ein Gesetz, das die Rückübertragung von Eigentumsrechten an religiöse Gemeinschaften regelt. Vielerorts formierte sich danach Widerstand gegen eine Rückgabe - davon waren keineswegs nur religiöse Minderheiten wie die Lutheraner betroffen, sondern auch die deutlich einflussreichere orthodoxe Kirche. So fand der Streit um die zum Museum umgewandelte prächtige Isaakskathedrale in Sankt Petersburg Anfang 2017 ein internationales Medienecho.