Der Film lebt nicht zuletzt vom Kräftemessen zwischen Armin Rohde und Axel Prahl. Gerade Prahl darf im Vergleich zu seiner Rolle als "Tatort"-Kommissar aus Münster ganz andere Seiten zeigen und belegt auf diese Weise wieder mal, dass Sympathieträger einfach die interessantesten Schurkendarsteller sind.
Trotzdem hat Rohde den reizvolleren Part: Er spielt den Berliner Kriminalrat Fredo Schulz, der bei seinem letzten Fall gescheitert ist. Zwei kleine Mädchen sind verschwunden; Schulz weiß genau, dass Roland Bischoff (Prahl) sie auf dem Gewissen hat, aber er kann dem Mann nichts nachweisen. Weil er das Geständnis aus ihm rausprügeln wollte, ist er suspendiert worden. Anschließend hat er sich an die Nordsee und in den Suff geflüchtet; der Auftakt des Films zeigt ihn betrunken im Watt. Als ihm das Wasser bis zur Brust reicht, gelingt es einem Kollegenduo, ihn zur Rückkehr in die Hauptstadt zu überreden: Offenbar hat Bischoff ein weiteres Kind entführt. Diesmal gibt es jedoch eine Lösegeldforderung, allerdings für ein ganz anderes Mädchen: Ein vermögender Geschäftsmann (Thomas Heinze) soll drei Millionen Euro zahlen, wenn er seine Tochter wiedersehen will, aber das Kind hält sich wohlbehalten zuhause auf; und nun nimmt der Fall eine völlig unerwartete Wendung.
Der Reiz des Films liegt unter anderem in Beckers Mut, gegen Konventionen und Erwartungen zu verstoßen. Der Titelheld ist eine gebrochene Figur und Alkoholiker, seit einst Frau und Kind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sind. Sarkastisch stellt Schulz nachts im Hotelzimmer, die Wodkaflasche in der Hand, ein Treffen der Anonymen Alkoholiker nach. Während Rohde seinem Affen sonst gern mal Zucker gibt, spielt er diese Rolle in vielen Szenen fast stoisch, entwickelt dabei aber eine beinahe Ehrfurcht gebietende Präsenz. Das gilt vor allem für die gemeinsamen Auftritte mit Prahl, der den Kindermörder konsequent und ohne Grautöne als Schurken verkörpert. Bischoff ist ein Widerling, dem sämtliche Schandtaten zuzutrauen sind, zumal er nicht mal davor zurückschreckt, seiner eigenen Mutter (Gaby Dohm) Gewalt anzudrohen; aber mit der Entführung des dritten Mädchens scheint er in der Tat nichts zu tun zu haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Eigentlich schade, dass Becker die Katze etwa zur Hälfte aus dem Sack lässt. Bis dahin erzählt er die Geschichte aus der Sicht von Schulz, nun kommen auch andere Perspektiven ins Spiel; die vorzeitige Auflösung des Rätsels raubt dem Film etwas von seiner Spannung. Da Bischoff dabei gesehen worden ist, wie er das Mädchen beobachtet hat, ist der Kriminalrat weiterhin überzeugt, dass er irgendwie mit drinsteckt; Axel Prahl rückt nun etwas in den Hintergrund, bleibt aber präsent, zumal Bischoff maßgeblichen Anteil daran hat, dass es beim Finale ordentlich zur Sache geht. Bis dahin dürfen erst mal andere mitmischen; wie alle Filme Beckers ist auch "Der gute Bulle" verschwenderisch gut besetzt. Melika Foroutan spielt die verzweifelte Mutter des Kindes, die auf eigene Faust nach ihrer Tochter sucht, Max Simonischek ihren etwas windigen Ex-Freund. Edin Hasanovic und Nele Kiper sorgen dafür, dass die Truppe des Kriminalrats nicht bloß aus Stichwortgebern besteht, aber viel zu tun haben sie nicht; das gilt auch für Johann von Bülow als Vorgesetzter. Aus der Rolle fällt allein Thomas Lawinky, der als außerordentlich schlicht gestrickter "böser Bulle" den Gegenentwurf zur Titelfigur verkörpert. Letztlich aber ist es trotz der wendungsreichen Geschichte ohnehin das Duell zwischen Rohde und Prahl, das nicht nur die große Qualität des Films ausmacht, sondern dem Drehbuch auch über die einzige Schwachstelle hinweghilft: Dass sich der clevere Bischoff durch einen schlichten Bluff übertölpeln lässt und das Versteck der toten Mädchen verrät, ist völlig unglaubwürdig.