Kaum jemand dreht so traurige Filme wie der Österreicher Johannes Fabrick. Seine Dramen kreisen stets um existenzielle Fragen: Mal geht es um die Leere, die der Freitod eines geliebten Menschen hinterlässt ("Der letzte schöne Tag", Grimme-Preis), mal will eine krebskranke Frau dafür sorgen, dass ihr Mann nach ihrem Tod nicht alleine ist ("Pass gut auf ihn auf!"); zuletzt hielt eine Gattin ihren Mann für einen Mörder ("Zweimal lebenslänglich"). In "Nie mehr wie es war" spielt ausnahmsweise mal nicht Fabricks Lieblingsschauspielerin Julia Koschitz die weibliche Hauptrolle, zumal die zentrale Figur ohnehin ein Mann ist: Thomas Freese (Fritz Karl) entdeckt eines Tages, dass er nicht der biologische Vater seines 16jährigen Sohnes sein kann. Milan war angeblich ein Frühchen, aber Thomas findet ein Ultraschallfoto älteren Datums; zum Zeitpunkt der tatsächlichen Zeugung war er jedoch im Ausland. Er stöbert weiter und stößt auf einen Brief, den seine Frau Nike (Christiane Paul) damals einige Wochen nach Milans Geburt an ihren Doktorvater schicken wollte; die Zeilen lassen Thomas vermuten, dass er all die Jahre bloß ein Platzhalter war.
Fritz Karl vermittelt fast schon schmerzlich glaubwürdig, wie ein Mann quasi über Nacht komplett den Boden unter den Füßen verliert, als ihm klar wird, dass ihn seine Frau 17 Jahre lang belogen hat und ihn zumindest in der Anfangszeit wohl auch jederzeit für ihren Professor im Stich gelassen hätte. Mit radikaler Konsequenz zerstört Thomas nun auch den Rest Gemeinsamkeit: Er zieht aus, schließt das gemeinsame Münchener Szenelokal und beantragt die Scheidung. Gleichzeitig leidet er unter der Trennung gerade von Milan. Als der Junge ihn mit einer anderen Frau sieht, klaut er das Auto seines Vaters und macht sich aus dem Staub; die Sorge um den Sohn bringt die Eltern zumindest vorübergehend wieder zusammen.
Das Drehbuch stammt von Britta Stöckle, die für Fabrick neben "Pass gut auf ihn auf!" auch das Trinkerdrama "Ich habe es dir nie erzählt" geschrieben hat. Abgesehen vom völlig unnötigen Cliffhanger-Auftakt mit anschließender langer Rückblende – der Film beginnt mit Nikes Sorge, Milan könne sich von einer bestimmten Brücke stürzen – verzichtet der Regisseur wie gewohnt auf jede emotionale Effekthascherei; dank Karls intensivem Spiel ist der empathische Faktor groß genug. Mehr als nur eine gute Ergänzung ist Matti Schmidt-Schaller. Der junge Mann hat schon öfter angedeutet, dass er ähnlich wie seine ungleich bekanntere Schwester Petra das Talent seines Vaters Andreas Schmidt-Schaller geerbt hat. Eine ungemein berührende Rolle spielt auch Michael Wittenborn als Milans mittlerweile an Alzheimer erkrankter Erzeuger, der mit seinen heiter-melancholischen Auftritten den letzten Akt dominiert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Ähnlich gefühlvoll sind die gemeinsamen Szenen von Vater und Sohn zu Beginn. Ihre Stärke liegt nicht zuletzt in der Alltagsnähe, aber Fabrick zeigt die beiden nicht nur beim gemeinsamen Videospiel, er macht sie auch zu einer verschworenen Gemeinschaft ("Das bleibt unter uns Männern"). Ihr vertrauensvoller Umgang miteinander führt überhaupt erst zum glaubhaft eingefädelten Fund der Ultraschallaufnahme: Milan will die Schule abbrechen, um sich ganz auf seine Musik konzentrieren zu können. Sein Vater will ihn überzeugen, zumindest das Abitur zu machen, sucht im Keller sein Reifezeugnis und entdeckt dabei den verschlossenen Umschlag mit Milans Babypass.
Weil Thomas als positiver, lebensfreudiger Mensch eingeführt wird, können es sich Fabrick und Stöckle auch erlauben, die Figur zu demontieren. Dass er erst mal nichts mehr mit Nike zu tun haben will, ist verständlich; aber in seinem Zorn sagt er sich auch von Milan los. Dank des ersten Aktes ist Thomas zweifelsfreier Sympathieträger, zumal sowohl seine tiefe Verletztheit nachvollziehbar ist. Aber nun macht er einen tiefgreifenden Wandel durch: Aus dem Hallodri, der seinen Sohn auch dann noch in Schutz nimmt, als rauskommt, dass Milan auf diversen Entschuldigungen seine Unterschrift gefälscht hat, wird ein hartherziger Zyniker, der Nike fortan mit frostiger Kälte begegnet. Dass sie postwendend zum Gegenangriff übergeht, macht ihre Position nicht besser; eine derart negativ besetzte weibliche Dramahauptfigur trauen sich ARD und ZDF nur noch höchst selten.