Der Vorspann der neuen RTL-Serie verdeutlicht die Metamorphose: Der geteilte Bildschirm zeigt zwei Männer; der eine in der linken Hälfte ist eher cool, der andere in der rechten eher brav. Doch dann beginnt der rechte zu verblassen, und der linke übernimmt seine Rolle. In der Auftaktfolge ("Ich bin du") sieht das dann so aus: Jan (David Rott) ist ein sympathischer Krimineller, sein Zwilling Jesko Hauptkommissar. Die unterschiedlichen Lebenswege haben ihre Bruderliebe offenbar nicht beeinträchtigt. Nach einem geplatzten Kokaindeal wird Jan nicht nur von dem Gangster Tarek (Dimitri Bilov), sondern auch von der Polizei gejagt, aber es ist Jesko, den die tödliche Kugel des Drogenbosses trifft. Er drückt Jan seinen Ausweis in die Hand und bittet ihn mit seinem letzten Atemzug, auf seine Töchter aufzupassen und die Finger von seiner Frau zu lassen. Also nimmt der Ganove die Identität seines Bruders an und ist als Ermittler überraschend erfolgreich.
Ähnlich wie viele andere Krimireihen der letzten Jahre (allen voran der "Polizeiruf" aus Rostock oder die ersten "Tatort"-Episoden aus Dortmund und Berlin) kombiniert "Bad Cop" eine horizontal erzählte Handlung mit einem jeweiligen Fall. Die Fortsetzungsebene gilt allerdings nicht der Jagd nach dem Mörder des Bruders, sondern dem Rollentausch: Jeskos Ehe steckt in einer tiefen Krise, Gattin Bea (Alma Leiberg) hat ihn vor die Tür gesetzt; nun lebt er in seiner Garage. Dass Jan irgendwann Gefühle für Bea entwickeln wird, ist zwar ebenso wenig überraschend wie die Alterskonstellation der beiden Töchter – eine noch klein, die andere in der Pubertät –, aber natürlich eine reizvolle Ergänzung zu den Krimihandlungen, zumal es eine zweite Frau gibt: Folge eins beginnt mit leidenschaftlichem Sex, denn Jan hat ein Verhältnis mit Gina (Mersiha Husagic), der attraktiven Frau des Obergangsters, und die macht sich mit Erfolg daran, auch den vermeintlichen Jesko erobern.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schon Folge zwei ("Klassentreffen") wirkt jedoch über weite Strecken wie eine ganz normale Krimiepisode: Als ein allseits unbeliebter Immobilienhändler ermordet wird, vermutet Jan, dass die geldgierige Witwe (Picco von Groote) dahintersteckt. Eine frühere Mitschülerin (Julia Brendler) des Mordopfers hätte ebenfalls ein gutes Motiv, denn der Mann wollte ihre Eltern vertreiben. Anders als der dicht inszenierte Auftakt ist die Fortsetzung jedoch wesentlich spannungsärmer. Umso verwunderlicher, dass der Regisseur von Folge eins seinen Namen zurückgezogen hat; in einschlägigen Datenbanken findet sich nun das Pseudonym "Alan Smithee". Folge zwei ist von Oliver Dommenget inszeniert worden. Es macht zwar immer noch Spaß, David Rott zuzuschauen, aber die Intensität hat deutlich abgenommen. Auch das ist eine Parallele zu vielen semi-seriell erzählten Formaten: Die einzelnen Fälle sind meist nicht so spannend wie der rote Faden. Außerdem wird das Potenzial der Kernidee nicht voll ausgeschöpft; so wird zum Beispiel nur kurz angedeutet, dass die Polizei Jan für den Mörder seines Bruders hält. Auch wenn es ein beliebtes Erzählmotiv ist, dass ein Mordverdächtiger den wahren Täter sucht, um seine Unschuld zu beweisen: Es hätte "Bad Cop" um eine interessante Komponente erweitert; ganz abgesehen davon, dass sich Jan zumindest pro forma selbst jagen müsste. Wenig Federlesens macht die Serie auch mit der Tragik der nunmehr vaterlosen Töchter. Ab Folge zwei gibt es auch verstärkte Comedy-Elemente, weil Jan nun flapsige Sprüche klopft und schlechte Witze macht: Der Kollege will das KIT alarmieren (Kriseninterventions-Team), Jan spricht mit seiner Armbanduhr und ruft K.I.T.T., das Auto des Knight Riders.
Der Polizist, der gewissermaßen aus einer anderen Welt kommt, ist die deutlichste Überschneidung mit "Der letzte Bulle", aber es gibt noch weitere. Die Sat.1-Serie, übrigens vom heutigen RTL-Fiction-Chef Philipp Steffens produziert, lebte letztlich vom Mit- und Gegeneinander der beiden Hauptfiguren, weil Mick Brisgaus spießiger Kollege mehr und mehr in den Mittelpunkt rückte. Auch "Bad Cop" knüpft an die Krimi-Tradition des "Buddy Movie" an, bei dem der zentralen Rolle ein möglichst gegensätzlicher Partner zur Seite gestellt wird: Jeskos neuer Beifahrer Luís (Daniel Rodic) ist ein eifriger Kommissarsanwärter mit Migrationshintergrund, der frisch von der Polizeischule kommt und immer wieder verblüfft feststellt, dass Jans Methoden in keinem Lehrbuch stehen. Spätestens in Folge drei ist Luís endgültig als gleichwertiger Partner etabliert.