TV-Tipp: "Schuld" (ZDF)

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TV-Tipp: "Schuld" (ZDF)
15.9., ZDF, 21.15 Uhr: "Schuld"
Die ersten Bilder zeigen einen Mann, der bereit ist, einen Mord zu begehen. Stattdessen erzählt er einem Anwalt seine Geschichte: wie die Idylle mit seiner Frau zerschmettert wurde, als ihn eine Schülerin Miriams bezichtigte, er habe sie wiederholt sexuell missbraucht.

Mit "Verbrechen" (2013) und "Schuld" (2015) nach Geschichten des Strafverteidigers Ferdinand von Schirach hat das ZDF bewiesen, dass Fernsehfilme auch mal bloß 45 Minuten kurz sein können. Die Handlungen hätten zwar das Potenzial für einen Neunzigminüter gehabt, aber gerade in der verknappten Erzählweise lag und liegt und der Reiz der Reihen. Für die zweite Staffel von "Schuld", diesmal ausschließlich von Hannu Salonen inszeniert, gilt das womöglich noch stärker. Der erste Film verdeutlicht das besonders gut. "Kinder" wirkt wie ein Konzentrat, die Geschichte (Buch: Niels Holle) ist regelrecht destilliert. Der zeitlich enge Rahmen hat zur Folge, dass Salonen die Handlung sehr elliptisch erzählt. Die ersten Bilder zeigen einen Mann (Marcus Mittermeier), der offenkundig bereit ist, einen Mord zu begehen. Stattdessen sucht er jedoch den Anwalt Friedrich Kronberg (Moritz Bleibtreu) auf und erzählt ihm seine Geschichte: wie er sich in eine schöne angehende Grundschullehrerin Miriam (Natalia Belitski) verliebte, wie die beiden heirateten und Kinderpläne schmiedeten, und wie die Idylle zerschmettert wurde, als ihn eine Schülerin Miriams bezichtigte, er habe sie wiederholt sexuell missbraucht. "Kinder" ist der beste Beitrag der Reihe, weil hier das Konzept der Staffel am konsequentesten umgesetzt wird: mit elegant inszenierten Zeitsprüngen, einem unerwarteten Handlungs-Twist mittendrin und einer fesselnden Mischung aus Drama und Krimi.
Zu den Formatformalien gehört auch die Bildgestaltung. Schon in der ersten Staffel waren die unvermittelten Brüche der Ästhetik irritierend, wenn die Protagonisten plötzlich und unmotiviert aus anderer Perspektive und in grobkörnigen Bildern gezeigt wurden, als gebe es einen unbekannten Beobachter. Ein weiterer Einfall wirkt diesmal plausibler, aber vielleicht ist das auch nur ein Gewöhnungseffekt: Immer wieder schweben Gegenstände durchs Bild, die für die Handlung wichtig sind; ein Schal, ein Bündel Briefe, ein Cellobogen oder ein Seziermesser. Die Filme zeichnen sich ohnehin durch eine ganz besondere Ästhetik aus. Salonen, bekannt für die sorgfältige Arbeit seiner Kameraleute, hat dafür gesorgt, dass Wolf Siegelmann den Episoden einen jeweils eigenen Look gibt. Der vierte Film ("Die Familie") spielt zu großen Teilen in Brasilien und fällt durch seine satte goldgelbe Farbgebung auf, die in krassem Gegensatz zur Handlung steht.


"Kinder" ist der einzige Justizkrimi. Die weiteren Beiträge sind dramatisch oder traurig und handeln vom Grauen in der Nachbarschaft. So erzählt "Das Cello" (Nina Grosse) von der innigen Liebe zweier Geschwister (Josefine Preuß, Louis Hofmann), die unter keinem guten Stern steht. Nach dem frühen Tod der Mutter leiden die beiden unter einem Drachen von Kindermädchen; der vermögende Vater (Juergen Maurer) interessiert sich überhaupt nicht für sie. Die traute Zweisamkeit endet jäh, als der Junge einen Unfall hat und in Folge der Kopfverletzungen nach und nach seine Persönlichkeit verliert. "Die Familie" (Annika Tepelmann) ist ähnlich düster: Ein Mann (Jürgen Vogel) bittet Kronberg, sich um seinen wegen Drogenschmuggels in Rio inhaftierten Halbbruder zu kümmern; Fritz (Lars Eidinger) ist irgendwann vom rechten Weg abgekommen und wird nie wieder zurückfinden.
Gespielt ist das alles herausragend; die Prominenz der Mitwirkenden verdeutlicht den guten Ruf der von Erfolgsproduzent Oliver Berben verantworteten Reihe. Die Sorgfalt der Besetzung zeigt sich auch im Detail; in "Kinder" ist die junge Schauspielerin Maria Dragus das perfekte ältere Ebenbild zur vorzüglich geführten Darstellerin der kleinen Schülerin. Gemeinsam ist allen Filmen auch eine gewisse Abgründigkeit. Das gilt erst recht für "Anatomie" (André Georgi). Als ein Autofahrer (Martin Brambach) einen Fußgänger rammt, weil er durch ein hübsches Mädchen abgelenkt ist, ahnt er nicht, dass er Schlimmeres verhütet hat: Der Passant (Samuel Schneider) ist ein psychisch gestörter junger Mann, der das Mädchen (Ruby O. Fee) entführen und wie zuvor schon diverse Hunde und Katzen bei lebendigem Leib sezieren wollte. Die erzählerische Struktur ist ähnlich wie in "Kinder" verblüffend, aber in Erinnerung bleibt vor allem das Bild der schockierten Mutter (Iris Berben), die in ihrem Garten zwischen lauter ausgehobenen Löchern steht, in denen ihr Sohn die Tierkadaver vergraben hat. Das ZDF stellt sämtliche Folgen zum Staffelstart in seine Mediathek.