Wenn in einem Film Menschen mit Behinderung eine wichtige Rolle spielen, stehen sie automatisch im Zentrum der Aufmerksamkeit: weil das so selten der Fall ist. In "Löwenherz", der 26. Episode aus der ZDF-Reihe "Kommissarin Lucas", spielt ein junger Mann mit Down-Syndrom sogar die Titelfigur. Und nicht nur das: Theo Pröll (Jonas Sippel), den sein älterer Bruder Marc (Shenja Lacher) Löwenherz nennt, gerät unter Mordverdacht. In der Nähe des Motels, das Marc und seine Frau Katrin (Karolina Horster) betreiben, wird ein ausgebranntes Auto mit einer Frauenleiche entdeckt. Sie hieß Carla Franz (Sonja Kirchberger) und war Gast des Motels; Theo hatte großen Gefallen an ihr gefunden. Carla hat mit ihm gespielt, aber dann ist ihr Theo beim gemeinsamen Tanz vor dem Haus zu aufdringlich geworden; ein kleines Handgemenge, ein unglücklicher Sturz – so sinnlos kann ein Leben enden. Die Obduktion ergibt jedoch, dass Carla noch lebte, als das Auto in Flammen aufging, aber Ellen Lucas (Ulrike Kriener) traut Theo nicht zu, ein kaltblütiger Mörder zu sein; am liebsten würde sie ihn auch gar nicht erst vernehmen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Abgesehen vom Titelhelden ist "Löwenherz" ein gewöhnlicher Krimi nach dem üblichen Muster (Buch: Stefan Dähnert, Markus Ziegler): Die Polizei klappert alle möglichen Verdächtigen ab. Sehenswert ist der Film dennoch, und das nicht nur wegen Jonas Sippel, der wie vor ihm schon viele andere Schauspieler, die mit Trisomie 21 geboren wurden, seine ersten Bühnenerfahrungen beim Berliner Theater RambaZamba gemacht hat. Sein Theo ist ein stets gutgelaunter Spaßvogel, aber hinter seinen Scherzen verbirgt sich auch eine Portion Nachdenklichkeit.
Die zweite interessante Ebene der Geschichte spielt in einer Schönheitsklinik. Hier finden Lucas und ihr Team (Lasse Myhr, Jördis Richter) einen weiteren Verdächtigen: Der blasierte Star-Chirurg Alexander Krayenberg (eine Paraderolle für Thomas Heinze) hat aus Carla einen neuen Menschen gemacht. Die Frau hatte ein krankhaftes Verhältnis zum eigenen Körper und war regelrecht süchtig nach immer weiteren Korrekturen. Irgendwann wollte der Arzt nicht mehr, weil weitere Operationen nicht zu verantworten gewesen wären. Offenbar hat Carla jedoch nicht locker gelassen, und womöglich hat sie ihn auch erpresst: Weil Krayenberg gemeinsam mit Carlas Mann (Thomas Limpinsel), dem Verwaltungsdirektor der Klinik, für einen Betrug in richtig großem Stil verantwortlich war.
Theos große Furcht
Ralf Huettner hat drei der vier letzten "Lucas"-Folgen gedreht und den Film weitgehend unaufgeregt inszeniert; klassische Krimispannung kommt kaum auf. "Löwenherz" lebt vor allem von den Schauspielern und den kleinen Ereignissen am Rande: Kollege Brauer (Myhr) verguckt sich in ein bisschen in eine selbstbewusste OP-Schwester (Magdalena Boczarska), die ihm verrät, dass der scheinbar rund um die Uhr beschäftigte Krayenberg die sündhaft teuren Operationen in Wirklichkeit gar nicht selbst durchführt; damit platzt auch sein Alibi. Zwischendurch stellt Lucas-Vermieter Max (Tilo Prückner) immer wieder mal einem Marder nach, der auf dem Dachboden sein Unwesen treibt. Die bewegendste Ebene der Geschichte erzählt jedoch von Theos großer Furcht: Dank eines Babyfons, das bei Marc und Katrin versteckt hat, weiß er, dass sie Nachwuchs erwarten; nun hat er Angst, dass nach der Geburt des Kindes kein Platz mehr für ihn ist und die beiden ihn "abtreiben" werden, wie er sagt. Dieser Teil der Handlung ist so lebensnah und relevant, dass der Krimi dagegen wie ein Kunstprodukt wirkt.