TV-Duell Merkel gegen Schulz: Das Salz der Demokratie

Angela Merkel und Martin Schulz
Foto: dpa/Michael Kappeler
Angela Merkel und Martin Schulz: Große Unterschiede zeigten sie im TV-Duell nicht.
TV-Duell Merkel gegen Schulz: Das Salz der Demokratie
Beim TV-Duell zwischen Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) klangen die beiden Kandidaten wie zwei Vertreter unterschiedlicher Flügel einer gemeinsamen GroKo-Partei. Der Herausforderer ließ klare Positionen zu wünschen übrig, aber auch die Kanzlerin blieb blass. Die Gewinner waren andere.

"Kontroverse Debatte ist das Salz der Demokratie", sagte Martin Schulz zum Start des TV-Duells zwischen ihm und Kanzlerin Angela Merkel. Bei der Ankündigung blieb es dann aber, denn Merkel und Schulz waren sich in den meisten Fragen einig. Die Kanzlerin punktete mit dem Amtsbonus, der SPD-Herausforderer verstrickte sich in Detailfragen und brachte mögliche Politik-Unterschiede nicht auf den Punkt.

Der wahre Gewinner des TV-Duells war stattdessen die AfD. Denn die ersten 45 Minuten des moderierten Gesprächs drehten sich um Integration, Abschiebung, Familiennachzug, Islam, Imame und Moscheen. Themen, die im Programm der nationalistischen Rechtsaußen-Partei viel mehr Raum einnehmen als bei den beiden Volksparteien, deren Spitzenkandidaten sich in Berlin streiten sollten, und die trotzdem die Hälfte der Sendezeit des TV-Duells ausmachten.

Aber weil Migration nun einmal das erste Thema war, mussten sich Merkel und Schulz auch dazu äußern. Integration ist "keine Bedrohung", betonte die Kanzlerin: "Ich empfinde das als eine sehr sehr große Aufgabe". Von den Konflikten in der Welt vom Krieg in Syrien bis zu den Hungersnöten in Afrika könne man sich nicht abkoppeln, deswegen müsse man diese Probleme gemeinsam mit Partnern in Europa und weltweit angehen. Ihr Herausforderer Martin Schulz brachte im Prinzip die gleiche Botschaft mit: Die Frage der Flüchtlinge ließe sich nur europäisch lösen.

Deswegen dürfe man EU-Mitgliedern wie Polen und Ungarn die Verweigerungshaltung bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht durchgehen lassen, forderte Schulz. Er meinte das als Kritik an der Kanzlerin für den deutschen Alleingang bei der Aufnahme von Flüchtlingen im September 2015. Und trotzdem klang der ehemalige EU-Parlamentspräsident Schulz dabei für einen kurzen Moment so, als hätte er die Flüchtlinge an den Grenzen stehenlassen, bis er die Regierungen in Polen und Ungarn irgendwie überzeugt hätte, doch auch Menschen aufzunehmen.

Merkel konterte das mit der Erfahrung des Regierens: Sie habe ja mit den anderen europäischen Regierungen über die Flüchtlinge gesprochen, aber: "Es gibt Momente als Regierungschef, da müssen Sie entscheiden", und das habe sie damals nach Rücksprache mit dem Kabinett getan.

Ausgerechnet Claus Strunz stellte die meisten Fragen in diesem Teil des TV-Duells und bediente sich deutlicher AfD-Rhetorik. Der Sat.1-Moderator führte eine Verschärfung der Sicherheitslage auf mehr Flüchtlinge zurück, fragte Angela Merkel: "Warum haben Sie die Grenzen nicht wieder geschlossen?" und wollte von den beiden Politikern wissen, wie lange die Integration der Flüchtlinge eigentlich dauere. Eine "lange Zeit", meinte Martin Schulz, worauf Strunz einwarf: "Manche sagen, es wird nie gelingen."

Merkel und Schulz sahen das immerhin anders, aber demonstrierten wieder große Ähnlichkeit: Es wird "Jahre dauern", sagte die CDU-Frau, und der SPD-Mann ergänzte, es brauche dafür viel mehr Unterstützung in den Schulen und eine schnellere Bearbeitung der Altfälle beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Beide wollen "Gefährder und Terroristen" abschieben, nachdem Claus Strunz zu den bereits ausreisepflichtigen Menschen in Deutschland fragte: "Wann sind diese Leute weg?" Familiennachzug wollen sie ebenfalls beide gemäß den völkerrechtlichen Verpflichtungen gewähren – Schulz mit Einzelfallprüfungen, Merkel will mit den Kommunen reden, wie sie das schaffen können.

Streit nur über Kleinigkeiten

Zu einer Diskussion über Integration gehört dieser Tage unvermeidlich auch die Frage nach dem Umgang mit dem Islam – auch daran merkt man den Einfluss der Rechtsaußen-Parteien auf den öffentlichen Diskurs. So auch an diesem Abend, und Merkel und Schulz setzten leicht unterschiedliche Akzente: Merkel lobte die vier Millionen Muslime, die "zum Erfolg des Landes" beitragen und durch die der Islam auch zu Deutschland gehöre. Schulz erklärte, Integrationsfähigkeit hänge "an der Bildung, mit denen die Menschen hierher kommen", und die Muslime, die er kenne, "sind total anständige Leute".

Beim Thema Religion fiel den Moderatorinnen dann auch ein, zu fragen, ob die beiden eigentlich diesen Sonntag in der Kirche waren. Beide hatten Antworten parat: Schulz war heute in einer Kapelle, um Frank Schirrmacher zu gedenken, und Angela Merkel gestern in der Kirche, weil es der Todestag ihres Vaters war.

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Jedenfalls wollten Merkel und Schulz beide keine Hassprediger dulden und waren sich einig bei der Notwendigkeit, Imame in Deutschland auszubilden statt sie aus der Türkei zu importieren.

So klangen die beiden Kandidaten wie zwei Vertreter unterschiedlicher Flügel einer gemeinsamen GroKo-Partei. Das war auch beim Thema Türkei so, die sich "in einem atemberaubenden Tempo von allen demokratischen Werten entfernt" (Merkel). Martin Schulz beschrieb Erdogan polternd als "autokratischen Herrscher, der willkürlich Leute verhaftet", will die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und die Vor-Beitrittshilfen stoppen. Merkel sprach diplomatischer: "Wenn man Staatsbürger freibekommen möchte, muss man noch im Gespräch bleiben." Aber die Kanzlerin betonte, dass sie selbst ja schon immer gegen einen EU-Beitritt der Türkei war.

Beide Kandidaten sind sich politisch so ähnlich, dass sie sich nur über Kleinigkeiten streiten konnten. Zum Teil klang ihre Diskussion wie ein Streit über Formulierungen in einem gemeinsamen Wahlprogramm, zum Beispiel bei den Fragen zur Diesel-Affäre: Merkel sprach vom "Vertrauensbruch" der Automobil-Branche und davon, trotzdem die Arbeitsplätze erhalten zu müssen, und Schulz forderte, Bürgerinnen und Bürger dürften nicht schlechter gestellt werden. Ob und wo sich die Positionen von Schulz und Merkel sich im Detailstreit über die Musterfeststellungsklage zur Diesel-Affäre tatsächlich unterscheiden, blieb offen.

Solche Details gehören aber auch nicht in ein gerade mal 90 Minuten langes Streitgespräch über große politische Linien. Gerade Martin Schulz schaffte es aber immer wieder, sich in Details zu verheddern und vergangene politische Kämpfe (wie zur Autobahn-Maut) aufzubrechen, die für diese Bundestagswahl inhaltlich gar keine Rolle spielen.

Für innen- und sozialpolitische Themen blieb viel zu wenig Zeit.

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Neben der Dieselaffäre gab es eine Riesenüberraschung bei der Steuerpolitik: SPD und CDU versprechen beide Steuerentlastungen für Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich. Bei der Rente sagte Angela Merkel auf die deutliche Nachfrage der Moderatorinnen, eine Rente mit 70 werde es nicht geben. Schulz antwortete darauf: "Hier bezieht Frau Merkel endlich klare Kante" und wollte damit ironisch sein – aber es gelang ihm nicht, sein Lob für die Kanzlerin noch umzubiegen. Auch deshalb, weil Schulz‘ Wahlkampfprogramm ebenfalls fordert, das Rentenalter von 67 Jahren nicht weiter zu erhöhen.

In den verbleibenden Minuten des TV-Duells fielen die Themen Bildung, Digitalisierung, Arbeitsmarkt, Hartz IV, Mindestlohn, Mietpreise, Krankenversicherung und Pflege komplett unter den Tisch. Nur zur Inneren Sicherheit konnten sich Merkel und Schulz noch kurz gegenseitig zustimmen: Mehr Polizisten und Polizistinnen und bessere Ausrüstung für die Polizei forderten sie beide, und gegen Terror sind sie auch.

Weniger Claus Strunz, mehr Wählerfragen

Vor den kurzen Abschluss-Statements stand noch die Frage, ob CDU und SPD mit der AfD oder den Linken koalieren würden. Merkel betonte, die Union werde auf keinen Fall mit der AfD zusammenarbeiten und auch nicht mit der Linken, und gab das Wort an Martin Schulz weiter: "Die Zuschauer haben auch das Recht, das von der SPD zu hören." Schulz allerdings schaffte es dann aber nicht, die AfD als Koalitionspartner auszuschließen, weil es ihm wichtiger war, noch einmal zu sagen, dass er unbedingt Kanzler werden will.

Mit diesem Auftritt im TV-Duell hat sich der SPD-Vorsitzende auf diesem Weg allerdings keinen Gefallen getan. Er wolle die "Zukunft gestalten statt Vergangenheit verwalten", mit unseren Freunden in der Europäischen Union, meinte Schulz in seinem Abschluss-Statement. Die Ideen dafür muss man im Wahlprogramm der SPD nachlesen, denn im TV-Duell konnte Schulz sie nicht plausibel erklären. Aber auch die Kanzlerin blieb unkonkret. Außer der Tatsache, dass sie gerne mit europäischen Staatschefs spricht, blieb nichts hängen. Immerhin: Die "Neuland"-Kanzlerin schaffte es, in ihrem Abschluss-Statement das Smartphone als "prototypisch" für die Veränderungen zu nennen, die Deutschland bevorstehen – die einzige Erwähnung von Digitalisierung am ganzen Abend.

Das TV-Duell würde selbst auch von Veränderungen profitieren, allen voran weniger Claus Strunz und mehr Maybritt Illner, die zusammen mit Peter Kloeppel die beste Figur an diesem Abend machte. Aber auch die Einbindung von echten Wählerinnen und Wählern hätte dafür sorgen können, dass die wichtigen Themen nicht untergehen.