Um kurz nach 14 Uhr stimmen die Chöre im Mainzer Dom zum Halleluja an, Peter Kohlgraf nimmt mit Hirtenstab und Mitra auf dem Bischofsstuhl Platz und der Gesang wird von lange anhaltendem Applaus übertönt. Nach mehr als einjähriger Vakanz hat das katholische Bistum Mainz wieder einen Oberhirten. Die feierliche Bischofsweihe, zu der 30 Bischöfe und Erzbischöfe aus dem ganzen Bundesgebiet an den Rhein gereist sind, markiert den Beginn eines neuen Zeitalters für die Katholiken in Hessen und Rheinland-Pfalz.
Zum letzten Mal hatte es einen Wechsel im fernen Jahr 1983 gegeben: Danach wurde die Diözese mehr als 30 Jahre lang von Kardinal Karl Lehmann geprägt, der als volksnaher, kluger Theologe, Vorsitzender der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz und Befürworter vorsichtiger kirchlicher Reformen weit über die Region hinaus hohes Ansehen genoss. Nun predigt Lehmann noch einmal in seiner alten Bischofskirche, er selbst weiht seinen Nachfolger durch Handauflegen. 900 geladene Gäste sitzen während der fast zweieinhalbstündigen Messe im Dom, die nach den selben strengen Regularien abläuft wie damals bei Lehmanns eigener Weihe.
"Ich bin bereit", antwortet Kohlgraf auf die Fragen des Kardinals. Mit verschränkten Armen liegt er acht Minuten flach auf dem Boden, während die Gemeinde die Heiligen um himmlische Fürsprache bittet. Als Insignien seiner Amtsgewalt erhält er danach seinen Bischofsring, den von einem afrikanischen Künstler gestalteten Stab und die Mitra, die liturgische Kopfbedeckung der Bischöfe. Die meisten Gläubigen und Gruppen aus den Kirchengemeinden verfolgen das Geschehen über zwei riesige Leinwände, sie haben keinen Platz im Dom gefunden. Als Kohlgraf nach der Weihe auf einer Bühne erscheint, bekommt er auch hier Beifall. Und dann bringen die Mainzer ihrem "Bischof Peter" ein Ständchen.
Hoffnung und Zuversicht
Kohlgraf warnte die Kirche in einer kurzen Ansprache davor, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen: "Jedes Mitglied der Kirche ist berufen, sich einzumischen in politische Debatten, mitzumachen, wo Hilfe gebraucht wird, den Mund aufzumachen, wo andere schweigen, eine respektvolle Sprache zu sprechen, wo andere Hass säen." Im Anschluss gab er bereits erste Personalentscheidungen bekannt. So soll Weihbischof Udo Bentz als Nachfolger von Dietmar Giebelmann neuer Generalvikar des Bistums werden.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, rief Kohlgraf auf, ein Bischof zu werden, der Hoffnung mache und Zuversicht ausstrahle. Zu dem Gottesdienst waren neben zahlreichen Repräsentanten der katholischen Kirche auch Vertreter der evangelischen Kirchen aus Hessen und Rheinland-Pfalz sowie Mitglieder der beiden Landesregierungen gekommen, darunter die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU). Der hessen-nassuaische Kirchenpräsident Volker Jung erklärte, die evangelische Kirche "schaue gespannt und sehr hoffnungsvoll nach vorne" und freue sich auf die "gemeinsame Wegstrecke" mit Kohlgraf.
Das Rätselraten hat ein Ende
Bis zum Frühjahr 2017 war Peter Kohlgraf alles in allem zufrieden mit seinem Leben als Professor. Neben dem Dienst an der Katholischen Hochschule Mainz war er als Pfarrvikar im Landkreis Alzey-Worms in der Seelsorge tätig. Bei den Studenten war er beliebt, für die 20 Kilometer zur Arbeit quer durchs rheinhessische Hügelland nahm er häufig das Fahrrad, in seiner Freizeit spielte er mit Vorliebe zu Hause am Flügel. Wäre es nach dem Willen des gebürtigen Kölners gegangen, hätte es durchaus so bleiben können. Doch dann ernannte Papst Franziskus den 50-jährigen Theologen im April zum neuen Bischof von Mainz.
Selbst vielen Mitarbeitern des katholischen Bistums war Kohlgraf zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannt. Beim Rätselraten über den möglichen Nachfolger des langjährigen Mainzer Bischofs Karl Lehmann war sein Name nie öffentlich genannt worden. Und auch Kohlgraf selbst versichert glaubhaft, dass er nicht mit einer solchen Wendung seines Schicksals gerechnet habe. Journalisten erzählte er, als ihm die Nachricht überbracht wurde, sei er auf sein Rad gestiegen, nach Hause gefahren und habe unterwegs überlegt, ob er einen Grund finden würde abzulehnen. Eine gewichtige Ausrede sei ihm nicht eingefallen, so dass er seine Zustimmung erklärt habe.
Bei seinen ersten Terminen zwischen Ernennung und Weihe zeigte der neue Bischof sich als kluger und humorvoller Gesprächspartner. Der Sohn eines Maurers und einer Krankenschwester machte bei jeder Gelegenheit deutlich, dass ihm ein abgehobener Amtsnimbus fremd ist und bleiben wird. Journalisten lud er ein, seine Privatwohnung zu besichtigen. Nach dem Debakel um die überteuerte Limburger Bischofsresidenz wollte er gleich im Vorfeld inmitten von Umzugskisten jeden Verdacht auszuräumen, er könnte womöglich auch ein Leben in Prunk und Luxus führen.
Kohlgraf in Interviews noch zurückhaltend
Auch auf Mitarbeiter des bischöflichen Ordinariats machte der neue Chef einen guten Eindruck, weil er sich beim Kennenlern-Treffen viel Zeit nahm und die Kirchenangestellten ausdrücklich ermunterte zu erzählen, wo sie der Schuh drückt. Als Bischof von Mainz übernimmt Kohlgraf in jedem Fall eine schwierige Aufgabe. Das Bistum mit 740.000 Katholiken in Hessen und Rheinland-Pfalz wurde über 30 Jahre lang von Lehmann geprägt. Der 81-jährige Kardinal genoss weit über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus hohes Ansehen, das Wort von den "großen Fußstapfen", die es auszufüllen gelte, machte zum Abschied überall die Runde. Aber insbesondere in Lehmanns letzten Amtsjahren, umso mehr seit der Vakanz des Bischofsstuhls, blieben im Bistum viele wichtige Entscheidungen liegen, bei denen der freundliche Hochschullehrer bald handeln und so manche Widerstände überwinden muss.
Ob Kohlgraf auch all jene Katholiken zufriedenstellen kann, die sich endlich tiefgreifende Reformen ihrer Kirche wünschen, bleibt ebenfalls abzuwarten. In ersten Interviews blieb er zurückhaltend bei Fragen nach nötigen Änderungen in der Kirche. Bei einem Auftritt im Hessischen Rundfunk erteilte er Hoffnungen auf eine Zulassung von Frauen zum Priesteramt eine deutliche Absage. "Wir werden es alle wahrscheinlich nicht erleben, dass das in Ihrem Sinne geklärt wird", entgegnete er einer Gesprächspartnerin aus der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche". Dass er sich für dieses Ziel zumindest einsetzen werde, wollte er ebenso wenig versprechen. Frauen als katholische Priesterinnen zuzulassen, würde den Bruch einer "theologisch begründeten" 2.000-jährigen Tradition bedeuten.
Das katholische Bistum Mainz umfasst 303 Pfarrgemeinden mit rund 740.000 katholischen Kirchenmitgliedern, die zu zwei Dritteln in Hessen und zu einem Drittel in Rheinland-Pfalz leben. Zum Bistum gehören außer der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz unter anderem auch Worms, Darmstadt und Gießen. Die Stadt Frankfurt gehört größtenteils zum Bistum Limburg und teilt das Mainzer Bistumsgebiet in zwei große, voneinander abgetrennte Teile. Außerdem ist der Mainzer Bischof für eine kleine Exklave im baden-württembergischen Bad Wimpfen zuständig.
Die Geschichte des Bistums reicht bis ins vierte Jahrhundert zurück. Um 745 wurde der aus England stammende, als "Apostel der Germanen" verehrte Bonifatius Bischof von Mainz. In den folgenden Jahrhunderten wuchs der Einfluss des Bistums Mainz, das noch im achten Jahrhundert zum Erzbistum erhoben wurde. Die Mainzer Erzbischöfe hatten als Kurfürsten entscheidenden Einfluss auf die Wahl der römisch-deutschen Könige. Das Erzbistum Mainz wurde nach der Französischen Revolution und der Besetzung von Mainz durch französische Truppen zerschlagen. In seinen heutigen Grenzen besteht das Bistum seit 1827.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Bistum Mainz maßgeblich von Karl Lehmann geprägt, der 1983 im Mainzer Dom zum Bischof geweiht wurde. Als langjähriger Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz wurde Lehmann zu einem der bekanntesten Repräsentanten der katholischen Kirche in Deutschland. Peter Kohlgraf (50) tritt nun seine Nachfolge an.